Erhöhte Anforderungen an die Vorsatzanfechtung nach § 133 InsO: Gelten diese auch bei Sanierungskrediten?
Mit Urteil vom 6. Mai 2021 hat der Bundesgerichtshof (BGH) erhöhte Anforderungen an die Vorsatzanfechtung nach § 133 InsO gestellt. Die Hintergründe des Urteils, seine Auswirkungen auf die Praxis und ob die erhöhten Anforderungen auch bei Sanierungskrediten gelten, erfahren Sie im Beitrag.
Der IX. Zivilsenat des BGH hat mit Urteil vom 6. Mai 2021 entschieden, dass die bisherige Rechtsprechung zu § 133 Abs. 1, 2 InsO einer Neuausrichtung bedarf; er setzt damit seine bereits mit Urteil vom 7. Mai 2020 – IX ZR 18/19 eingeleitete Rechtsprechungsänderung fort: Dort hatte der Senat bereits ausgeführt, dass die Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners nicht automatisch auch die Kenntnis von der Gläubigerbenachteiligungsabsicht indiziert. Der Anfechtungsgegner muss zusätzlich wissen, dass es noch andere Gläubiger gibt, deren Forderungen derzeit nicht vollständig beglichen werden.
Darüber hinaus muss nach dem Urteil vom 6. Mai 2021 jedenfalls bei kongruenten Deckungen hinzukommen, dass der Schuldner weiß oder jedenfalls billigend in Kauf nimmt, seine Gläubiger auch in der Zukunft nicht bezahlen zu können. Die finanzielle Krise muss ein solches Ausmaß angenommen haben, dass eine vollständige Befriedigung der übrigen Gläubiger nicht zu erwarten ist.
Die Anforderungen an die Kenntnis des Anfechtungsgegners vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners werden entsprechend erweitert. Nach § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO wird vermutet, dass der Gläubiger den Benachteiligungsvorsatz kannte, wenn er wusste, dass die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners drohte und dass die Rechtshandlung die Gläubiger benachteiligte. Hinzukommen muss nun das Wissen um die Benachteiligung der übrigen Gläubiger. Der Gläubiger muss also wissen, dass es weitere Gläubiger gibt, deren Forderungen vom Schuldner auch in Zukunft nicht vollständig beglichen werden. Bei unternehmerisch tätigen Schuldnern muss der Gläubiger jedoch stets mit weiteren Gläubigern rechnen.
Die Hintergründe zum Urteil schildern wir im Folgenden.
I. Leitsätze der Entscheidung
a) Die Annahme der subjektiven Voraussetzungen der Vorsatzanfechtung kann nicht allein darauf gestützt werden, dass der Schuldner im Zeitpunkt der angefochtenen Rechtshandlung erkannter Maßen zahlungsunfähig ist.
b) Der Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners setzt im Falle der erkannten Zahlungsunfähigkeit zusätzlich voraus, dass der Schuldner im maßgeblichen Zeitpunkt wusste oder jedenfalls billigend in Kauf nahm, seine übrigen Gläubiger auch künftig nicht vollständig befriedigen zu können; dies richtet sich nach den ihm bekannten objektiven Umständen.
c) Für den Vollbeweis der Kenntnis vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners muss der Anfechtungsgegner im Falle der erkannten Zahlungsunfähigkeit des Schuldners im maßgeblichen Zeitpunkt zusätzlich wissen, dass der Schuldner seine übrigen Gläubiger auch künftig nicht wird befriedigen können; dies richtet sich nach den ihm bekannten objektiven Umständen.
d) Auf eine im Zeitpunkt der angefochtenen Rechtshandlung nur drohende Zahlungsunfähigkeit kann der Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners in der Regel nicht gestützt werden.
e) Eine besonders aussagekräftige Grundlage für die Feststellung der Zahlungseinstellung ist die Erklärung des Schuldners, aus Mangel an liquiden Mitteln nicht zahlen zu können; fehlt es an einer solchen Erklärung, müssen die für eine Zahlungseinstellung sprechenden sonstigen Umstände ein der Erklärung entsprechendes Gewicht erreichen.
f) Stärke und Dauer der Vermutung für die Fortdauer der festgestellten Zahlungseinstellung hängen davon ab, in welchem Ausmaß die Zahlungsunfähigkeit zutage getreten ist; dies gilt insbesondere für den Erkenntnishorizont des Anfechtungsgegners.
II. Sachverhalt
Der Kläger ist Insolvenzverwalter der insolventen N. GmbH. Bei der Beklagten handelt es sich um die Bundesrepublik Deutschland (Bundesamt für Justiz).
Die Schuldnerin war ihrer Pflicht zur Offenlegung des Jahresabschlusses 2006 nicht nachgekommen. Ihr wurde daher ein Ordnungsgeld in Höhe von 2.500,00 Euro angedroht. Dieses Ordnungsgeld wurde im August 2009 festgesetzt, die dagegen eingelegte Beschwerde blieb erfolglos. Im April 2010 wurde die Schuldnerin zur Zahlung aufgefordert. Diese bat um eine Ratenzahlungsvereinbarung, welche sodann geschlossen wurde. Zwischen Juni 2010 und März 2011 zahlte die Schuldnerin neun Raten, insgesamt 2.307,00 Euro. Ferner zahlte sie im Februar 2012 nochmals 53,50 Euro an Gebühren und Auslagen, nachdem auch der Jahresabschluss 2010 nicht fristgerecht offengelegt wurde.
Das Insolvenzverfahren wurde im Oktober 2015 eröffnet. Der Kläger hat die vorstehenden Zahlungen angefochten. Die auf § 133 InsO gestützte Anfechtungsklage wurde vom Amtsgericht abgewiesen, die hiergegen gerichtete Berufung blieb ebenfalls erfolglos. Die zugelassene Revision führte zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückweisung an das Berufungsgericht.
III. Rechtliche Würdigung
Streitig war im Wesentlichen die Kenntnis der Beklagten vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz der Schuldnerin. Die vom Berufungsgericht ausgeführte Begründung hat den IX. Senat nicht überzeugt. Aus diesem Grund enthält die Entscheidung in den sog. Segelanweisungen (ab Rz.. 30) Hinweise an das Berufungsgericht, welche Punkte bei der erneuten Entscheidung zu berücksichtigen sind.
Wesentlich ist, dass es künftig für die Kenntnis des Anfechtungsgegners vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz nicht mehr ausreicht, die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners erkannt zu haben. Auch für den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz selbst reicht allein die Kenntnis des Schuldners von seiner eigenen Zahlungsunfähigkeit nicht mehr aus. Hinzukommen muss, dass der Schuldner im Zeitpunkt der angefochtenen Rechtshandlung weiß oder zumindest billigend in Kauf nimmt, dass er auch künftig nicht in der Lage sein wird, alle seine Verbindlichkeiten zu begleichen.
Zur Begründung führt der IX. Senat aus, dass bei kongruenten Deckungen die Tatbestandsvoraussetzungen des § 133 Abs. 1, 2 InsO ohne die nunmehr vorgenommene Einschränkung nahezu identisch mit denen des § 130 Abs. 1 InsO wären. Zwar sollen auch kongruente Deckungen der Vorsatzanfechtung unterfallen können, jedoch genügt in Abgrenzung zu § 130 Abs. 1 InsO die Kenntnis der Krise im Rahmen des § 133 Abs. 1, 2 InsO nicht mehr.
Der Senat gibt seine bisherige Rechtsprechung, wonach aus der Kenntnis des Schuldners von seiner lediglich drohenden Zahlungsunfähigkeit auf den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz geschlossen wurde, ausdrücklich auf. Sofern Rechtshandlungen im Stadium der drohenden Zahlungsunfähigkeit angefochten werden sollen, müssen weitere Umstände hinzutreten, die den Benachteiligungsvorsatz untermauern.
Sofern die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners über die Zahlungseinstellung bewiesen werden soll, müssen die Umstände, die für eine Zahlungseinstellung herangezogen werden, ein entsprechendes Gewicht erreichen. Ausreichend sind jedenfalls eigene Erklärungen des Schuldners, eine fällige und nicht unbeträchtliche Verbindlichkeit binnen drei Wochen nicht begleichen zu können. (Wiederholt auftretende) Zahlungsverzögerungen reichen für eine Zahlungseinstellung nicht.
Die einmal eingetretene Zahlungseinstellung wirkt grundsätzlich fort. Allerdings hängt die Frage, wem die Beweislast für die Wiederaufnahme der Zahlungen trägt, davon ab, in welchem Ausmaß die Zahlungsunfähigkeit zutage getreten ist. Im vorliegenden Fall war es der Beklagten gemessen an der geringen Höhe der Forderung und der Dauer zwischen der letzten Zahlung und Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht zuzumuten, den Wegfall der Zahlungseinstellung zu beweisen. Der Insolvenzverwalter muss daher die Fortdauer der Zahlungsunfähigkeit darlegen und beweisen.
Praxishinweis
Die Entscheidung des BGH verbessert die Chancen insbesondere derjenigen Anfechtungsgegner, die eine kongruente Deckung vom Insolvenzschuldner erhalten haben. Der Insolvenzverwalter muss künftig neben Ausführungen zu der bereits eingetretenen Zahlungsunfähigkeit des Schuldners weitere Ausführungen machen, um den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz und die Kenntnis des Anfechtungsgegners hiervon zu beweisen.
Fraglich ist, ob das hier besprochene Urteil für Kreditinstitute bei der Vergabe von Krediten in der Krise viel ändert. Wenn die Sanierungskreditvergabe eigennützig ist, etwa, wenn schon Altkredite vergeben sind, wird die Kenntnis vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners vermutet. Diese Vermutung kann durch ein Sanierungsgutachten nach den Anforderungen des BGH bzw. des IDW S 6 widerlegt werden (vgl. BGH, Urteil vom 28. März 2019, IX ZR 7/18 Rn. 7 – 10). Diese Möglichkeit besteht aber auch im Fall des hier besprochenen Urteils: Da der BGH nunmehr darauf abstellt, ob der Schuldner bei Vornahme der angefochtenen Rechtshandlung davon ausging, auch künftig seine übrigen Gläubiger nicht vollständig befriedigen zu können, kann ein Sanierungsgutachten nach IDW S6 dem Gläubiger und potenziellen Anfechtungsgegner Rechtssicherheit geben. In einem solchen Gutachten wird regelmäßig (die Wiederherstellung der) Zahlungsfähigkeit begutachtet, bestätigt und überwacht.
Vielen Dank an meinen Co-Autoren Jens Weber.