Sind Anbieter von Gruppenversicherungen Versicherungsvermittler?

Gruppenversicherungen eröffnen weitreichende und lukrative Möglichkeiten sowohl für Anbieter als auch deren Gruppenmitglieder oder Kunden. Bisher galten Unternehmen, Vereine oder andere Anbieter sog. „echter Gruppenversicherungen“ nach deutschem Recht nicht als Versicherungsvermittler. Ob dies mit EU-Recht vereinbar ist, hat der Bundesgerichtshof in einem konkreten Fall kürzlich dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt. Je nach Ausgestaltung der Gruppenversicherung und der Entscheidung des EuGH könnte dies zu unmittelbaren unerwünschten Folgen für Anbieter führen. Welche Konsequenzen drohen und was Anbieter von Gruppenversicherungen tun können, um vorbereitet zu sein, erläutert dieser Beitrag.

Mit Beschluss vom 15. Oktober 2020 (Az. I ZR 8/19) hat der Bundesgerichtshof dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob ein Unternehmen, welches eine echte Gruppenversicherung für seine Kunden abschließt und von den Kunden eine Vergütung für den dadurch vermittelten Versicherungsschutz erhält, ein Versicherungsvermittler im Sinne von Art. 2 Nr. 3 und 5 der Richtlinie 2002/92/EG und Art. 2 Abs. 1 Nr. 1, 3 und 8 der Richtlinie (EU) 2016/97 ist. Diese Frage klingt auf den ersten Blick etwas sperrig, spricht aber eine aktuell wichtige Thematik der Versicherungsvermittlung an und wirft zahlreiche Rechtsfragen auf. 

Was ist eine Gruppenversicherung?

Der Begriff der Gruppenversicherung ist bis zum heutigen Tag nicht gesetzlich verankert, obgleich die damit bezeichnete Art von Verträgen in der Praxis von großer Bedeutung ist. 

Gemeinsames Merkmal aller Varianten von Gruppenversicherungsmodellen ist ein Dreiecksverhältnis von einem Versicherer, einer Gruppenspitze sowie den Mitgliedern einer Gruppe, welche entweder versicherten Personen oder aber Versicherungsnehmer sein können.
Eine „echte Gruppenversicherung“ liegt vor, wenn zwischen einem Versicherer und einer Gruppenspitze ein Vertrag geschlossen wird, in dessen Folge die Gruppenspitze selbst, also ein Verband, Verein oder ein Arbeitgeber, der Versicherungsnehmer des Versicherers wird. Die Mitglieder der Gruppe dagegen, also die Arbeitnehmer oder Vereinsmitglieder, erhalten dagegen lediglich den rechtlichen Status einer versicherten Person. Dies erfolgt in der Regel durch schlichten Beitritt zur Gruppe. Rechtlich betrachtet besteht hier im Ergebnis nur ein Versicherungsvertrag.

Von einer „unechten Gruppenversicherung“ ist dagegen die Rede, wenn die Mitglieder der Gruppe auf der Basis eines (Rahmen-)Vertrages zwischen der Gruppenspitze und einem Versicherer jeweils selbst Versicherungsnehmer (und nicht nur versicherte Personen) werden sollen und die Gruppenspitze lediglich die Vertragsverwaltung übernimmt. Aus dieser Administration der Gruppenspitze ergeben sich üblicherweise günstigere Beiträge für die Versicherungsnehmer. Rechtlich gesehen liegen hier aber eine Vielzahl von Einzelverträgen vor, die eben auf der Basis des Rahmenvertrages gesondert abgeschlossen werden. Allein der Beitritt zur Gruppe (z. B. durch Begründung des Arbeitsverhältnisses mit einem Arbeitgeber) begründet in diesem Fall noch nicht den Status einer versicherten Person oder eines Versicherungsnehmers.

Die jeweilige Ausgestaltung hat erhebliche praktische Relevanz.

Nach § 6 VVG nämlich hat ein Versicherer den Versicherungsnehmer „nach seinen Wünschen und Bedürfnissen zu befragen und zu beraten sowie die Gründe für jeden zu einer bestimmten Versicherung erteilten Rat anzugeben“. Außerdem muss der Versicherer dem Versicherungsnehmer nach § 7 VVG „rechtzeitig vor Abgabe von dessen Vertragserklärung seine Vertragsbestimmungen einschließlich der Allgemeinen Versicherungsbedingungen“ und ggf. weitere Informationen erteilen.

Diese Verpflichtung trifft den Versicherer grundsätzlich aber nur im Verhältnis zum Versicherungsnehmer und nicht auch gegenüber weiteren versicherten Personen.

Es ist damit ersichtlich, dass es für den Versicherer wesentlich leichter und unkomplizierter ist, wenn er sich im Rahmen einer echten Gruppenversicherung lediglich einem Versicherungsnehmer gegenüber sieht anstatt einer potenziell sehr großen Zahl von Versicherungsnehmern im Rahmen einer unechten Gruppenversicherung.

Der Versicherungsnehmer als Versicherungsvermittler?

Dem Fall, welcher nun dem EuGH zur Entscheidung vorgelegt wurde, lag eine echte Gruppenversicherung zugrunde. Eine GmbH als Gruppenspitze hatte mit einem Versicherungsunternehmen einen Gruppenversicherungsvertrag über eine Auslandsreisekrankenversicherung sowie eine Auslands- und Inlands-Rückholkosten-Versicherung geschlossen. Beauftragte Dritte bewarben nun gegenüber Verbrauchern den Beitritt zu einer Mitgliedergemeinschaft. Die Mitgliedschaft in dieser Gemeinschaft hätte zur Inanspruchnahme der Versicherungsleistungen berechtigt, allerdings wären die Mitglieder nicht selbst Versicherungsnehmer, sondern lediglich versicherte Personen im Sinne des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) gewesen.

Der Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände war nun allerdings der Meinung, dass die GmbH mit der Bewerbung der Leistungen aus der Gruppenversicherung eine Versicherungsvermittlung betreibe und damit eine Erlaubnis auf der Basis des § 34d Abs. 1 S. 1 GewO benötige. Dieser lautet wie folgt:

§ 34d Versicherungsvermittler, Versicherungsberater

(1) Wer gewerbsmäßig den Abschluss von Versicherungs- oder Rückversicherungsverträgen vermitteln will (Versicherungsvermittler), bedarf nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen der Erlaubnis der zuständigen Industrie- und Handelskammer.

Bislang war man in Deutschland überwiegend der Ansicht, dass die Gruppenspitze, der Versicherungsnehmer einer Gruppenversicherung eben kein Versicherungsvermittler im rechtlichen Sinne sein könne. Das erscheint einleuchtend, denn der Wortlaut des § 34d GewO verlangt die gewerbsmäßige Vermittlung von Versicherungsverträgen – aber Verträge werden hier ja gerade nicht vermittelt.

Allerdings ist das Recht der Versicherungsvermittlung nicht allein aus dem Blickwinkel des nationalen Rechts zu betrachten. Das Recht des Versicherungsvertriebes in Deutschland und der Europäischen Union basiert auf der Richtlinie (EU) 2016/97 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Januar 2016 über Versicherungsvertrieb (Insurance Distribution Directive, oder abgekürzt: IDD). Dort ist in Artikel 2 Abs. 1 Nr. 1 der „Versicherungsvertrieb“ definiert als: 

„die Beratung, das Vorschlagen oder Durchführen anderer Vorbereitungsarbeiten zum Abschließen von Versicherungsverträgen, das Abschließen von Versicherungsverträgen oder das Mitwirken bei deren Verwaltung und Erfüllung, insbesondere im Schadensfall, einschließlich der Bereitstellung von Informationen über einen oder mehrere Versicherungsverträge aufgrund von Kriterien, die ein Kunde über eine Website oder andere Medien wählt, sowie die Erstellung einer Rangliste von Versicherungsprodukten, einschließlich eines Preis- und Produktvergleichs, oder ein Rabatt auf den Preis eines Versicherungsvertrags, wenn der Kunde einen Versicherungsvertrag direkt oder indirekt über eine Website oder ein anderes Medium abschließen kann.“ 

Diese Beschreibung würde es durchaus zulassen, die werbende Gruppenspitze, insbesondere, wenn diese eine Vergütung erhält, als Versicherungsvermittler im Sinne der IDD anzusehen.

Vor diesem Hintergrund ist nachvollziehbar, wieso der Bundesgerichtshof das Vorabentscheidungsverfahren eingeleitet hat.

Auswirkungen auf die Praxis

Gruppenversicherungen eröffnen weitreichende und lukrative Möglichkeiten: der Yachtclub, der als Gruppenspitze für seine Mitglieder eine Versicherung der Yachten organisiert, die berufsständische Kammer, die den Kammermitgliedern und deren Familien im Rahmen einer Gruppenversicherung Zugang zu privaten Krankheitsvollkostenversicherungen bietet oder das Start-up-Unternehmen, welches dem Kunden und Gruppenmitglied nicht nur die Anmietung (statt einem Kauf) hochwertiger Endgeräte ermöglicht, sondern dieses zugleich auch in eine Elektronik-Gruppenversicherung einschließt.

Je nach Ausgestaltung der Gruppenversicherung und der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs müssten der Yachtclub, die berufsständische Kammer oder auch das Start-up damit rechnen, als Versicherungsvermittler zu gelten. Dies könnte nicht nur wegen des eventuell unerwünschten Status, sondern auch wegen der unmittelbaren Folgen unerwünscht sein. Eine Erlaubnis nach § 34d GewO wäre dann unter Umständen notwendig, auch die Eintragung in das Vermittlerregister und der Abschluss einer Berufshaftpflichtversicherung sind dann verpflichtend.

Sollte der EuGH die Gruppenspitze als Versicherungsvermittler ansehen, dann stellen sich viele Folgefragen. Wurden die Gruppenmitglieder rechtzeitig und ausreichend informiert? Welche Konsequenzen drohen, wenn diese Frage verneint werden muss?

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Autor dieses Artikels

Alexander Busch, LL.M.

Director

Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht

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