Einspruchsempfehlung: Mögliche Verfassungswidrigkeit von Aussetzungszinsen

Einspruchsempfehlung: Mögliche Verfassungswidrigkeit von Aussetzungszinsen
  • 08.08.2024
  • Lesezeit 3 Minuten

Bei der Festsetzung von Aussetzungszinsen für vergangene Zeiträume empfiehlt es sich, mittels Einspruchs die Festsetzung offenzuhalten.

Nachdem das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2021 die seinerzeit geltenden Regelungen zur sog. Vollverzinsung nach § 233a AO unter Berücksichtigung eines Zinssatzes von 6 % ab dem Jahr 2014 als verfassungswidrig eingestuft und den Gesetzgeber zu einer Neuregelung für Verzinsungszeiträume ab dem Jahr 2019 verpflichtet hat, hat der Gesetzgeber diesen Zinssatz auf 1,8 % p.a. herabgesetzt. Nicht herabgesetzt wurde indes der Zinssatz für weitere Zinstatbestände, d.h. für Aussetzungs-, Stundungs- und Hinterziehungszinsen. Hier gilt weiterhin ein Zinssatz von 6 % p.a. Das Bundesverfassungsgericht hatte seinerzeit seine Beurteilung nicht auf diese Zinstatbestände ausgeweitet, da diese einer jeweils eigenständigen verfassungsrechtlichen Prüfung bedürfen würden. Es erfolgte aber der Hinweis, dass der Steuerpflichtige es selbst bestimmen könne, ob der jeweilige Zinstatbestand z.B. durch Stellung eines Stundungsantrags ausgelöst wird. Das Gericht zeigte damit seinerzeit zumindest eine Tendenz, dass keine offensichtliche Verfassungswidrigkeit anzunehmen sei. Der Gesetzgeber hat diese Aussagen wahrscheinlich wohlwollend zur Kenntnis genommen und damit auf eine Anpassung auch dieses Zinssatzes im Zuge der Neuregelung der Vollverzinsung verzichtet. 

Die Nichtanpassung des Zinssatzes insbesondere bei Aussetzungszinsen war bereits mehrfach Gegenstand von Entscheidungen der Finanzgerichte. Die Finanzgerichte Münster (3 V 2464/22 vom 10.02.2023 und 6 K 2094/22 vom 8.03.2023), Baden-Württemberg (1 K 180/22 vom 11.05.2023), der 14. Senat des Finanzgerichts München (15 K 358/22 vom 7.09.2022) und das Finanzgericht Düsseldorf (12 V 1597/22 A) lehnten verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Zinshöhe durch Verweis auf die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts ab, da der Steuerpflichtige jeweils entscheiden könne, ob Aussetzungszinsen entstehen oder nicht. Der 7. Senat des Finanzgerichts München ist dieser Auffassung nun mit Beschluss vom 24.06.2024 (7 V 11/24) im Aussetzungsverfahren mit einer umfassenden Begründung entgegengetreten. 

Jedenfalls für Verzinsungszeiträume zwischen dem 1. Januar 2019 und April 2023 äußert das Gericht ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit eines Zinssatzes von 6 % und weist hierbei darauf hin, dass das Bundesverfassungsgericht eben keine tiefgreifende verfassungsrechtliche Prüfung der Norm vorgenommen habe. Das Finanzgericht erkennt insbesondere keinen Rechtfertigungsgrund dafür, eine Unterscheidung bei der Höhe des Zinssatzes für die verschiedenen Zinstatbestände in Niedrigzinsphasen vorzunehmen. Insbesondere die von den anderen Finanzgerichten aufgegriffene Argumentation, dass der Steuerpflichtige es in der Hand habe, ob Aussetzungszinsen überhaupt entstehen, ist für den entscheidenden Senat kein sinnvolles Argument. Im Gegenteil werde bei Steuerzinsen, die über dem Marktniveau liegen würden, gerade nur demjenigen die Zinsverpflichtung auferlegt, der die Mittel zur Abwendung der hohen Steuerzinsen nicht aus vorhandener Liquidität leisten oder sich zinsgünstig beschaffen könne.

Das Finanzgericht gewährte im Ergebnis eine Aussetzung der Vollziehung in Höhe der Differenz zwischen den festgesetzten Zinsen von 6 % und dem für die Vollverzinsung zugrunde zulegenden Zinssatz von 1,8 %.

Gegen die o.g. Entscheidung des Finanzgerichts Münster vom 8.03.2023 ist ein Revisionsverfahren vor dem Bundesfinanzhof (BFH) anhängig (VIII R 9/23). Sollte der BFH ebenfalls verfassungsrechtliche Bedenken haben, müsste auch für die Aussetzungszinsen eine Vorlage zum Bundesverfassungsgericht erfolgen. Bei der Festsetzung von Aussetzungszinsen für vergangene Zeiträume empfiehlt es sich daher, mittels Einspruchs die Festsetzung offenzuhalten.
 

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Autor dieses Artikels

Lars Lesser

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