Europäischer Gerichtshof (EuGH): Deutschland muss Energierecht ändern

  • 08.09.2021
  • Lesezeit 3 Minuten

Der EuGH hat einer Vertragsverletzungsklage gegen die Bundesrepublik Deutschland stattgegeben (Entscheidung vom 02.09.2021, Az.: C-718/18). Mittels der in § 24 Abs. 1 Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) vorgesehenen Regelungskompetenzen seien die in den Richtlinien 2009/72/EG und 2009/73/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 vorgesehenen ausschließlichen Zuständigkeiten der nationalen Regulierungsbehörden missachtet worden. Die Bestimmung der Methoden zur Berechnung oder Festlegung der Bedingungen für den Zugang zu den nationalen Netzen, einschließlich der anwendbaren Tarife, seien in zu großem Maße in den Zuständigkeitsbereich der Bundesregierung gerückt worden.

Akteure der Energiebranche sollten sich bereits jetzt auf Veränderungen der rechtlichen Rahmenbedingungen einstellen. Der Umfang und das Ausmaß werden zukünftig nicht unerheblich von den Behördenentscheidungen und dem behördlichen Rollenverständnis abhängen. 

Gegenstand des Vertragsverletzungsverfahrens waren vier Rügen der Europäischen Kommission. Diese bestätigte der EuGH in seiner Entscheidung vollumfänglich. Der wesentliche Teil der Entscheidung beschäftigt sich mit der Rüge der ungenügenden Unabhängigkeit der nationalen Regulierungsbehörde. Die Kommission trug in diesem Zusammenhang vor, dass die nationalen Vorschriften im Ergebnis keine bloßen „allgemeinen politischen Leitlinien seitens der Regierung“ i.S.d. Richtlinien vorsähen. Vielmehr stellten die aufgrund von § 24 Abs. 1 EnWG von der Bundesregierung erlassenen nationalen Rechtsverordnungen bereits höchst detaillierte Anweisungen an die nationale Regulierungsbehörde dar. Der den nationalen Regulierungsbehörden belassene Ermessensspielraum sei nicht ausreichend.

Diese Auffassung teilt der EuGH. Nach seinem Verständnis obliege es ausschließlich der nationalen Regulierungsbehörde, die Methoden zur Berechnung der Tarife und zur Festlegung der Bedingungen für den Netzanschluss und den Netzzugang festzulegen. Damit untersagt der EuGH dem deutschen Gesetzgeber diesbezüglich Vorgaben in Gesetzen zu machen und der Bundesregierung diesbezüglich Rechtsverordnungen zu erlassen.

Dem Einwand der Bundesrepublik Deutschland, das deutsche Verfassungsrecht erfordere eine ununterbrochene demokratische Legitimationskette, sodass es der kritisierten Vorstrukturierung der behördlichen Ermessenausübung bedürfe, folgte der EuGH nicht. Seiner Ansicht nach ergebe sich die demokratische Legitimation aus den ausreichend detaillierten materiellen Vorgaben des Unionsrechts. 

Durch das Urteil des EuGH wird die Bundesregierung verpflichtet, den rechtswidrigen Zustand zu beseitigen, Art. 260 Abs. 1 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV). Dies bedeutet, dass die Bundesregierung die unionsrechtswidrigen Regelungen zeitnah aufheben und neue, unionsrechtskonforme Regelungen erlassen muss oder die bestehenden Regelungen entsprechend anpassen muss. 

Allerdings führt das Urteil nicht zur Nichtigkeit der bestehenden nationalen Regelungen. Daher haben der Bundesgerichtshof (BGH) in seinem Beschluss vom 8. Oktober 2019, Az. EnVR 58/18 und die Bundesnetzagentur in einer Pressemitteilung vom 02.09.2021 erklärt, dass sie die geltenden nationalen Regelungen bis zu ihrer Anpassung weiterhin anwenden werden bzw. für anwendbar halten. Da nämlich die Voraussetzungen für eine unmittelbare Anwendung der europäischen Richtlinien nicht vorlägen, würde eine Nichtanwendung der noch geltenden Regelungen zu Regelungslücken und damit zu Unsicherheiten für alle Marktakteure führen. Auch eine unionsrechtskonforme Auslegung der Regelungen scheide aus, da diese im Widerspruch zum Regelungsinhalt der jeweiligen Verordnungen stünde.

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Autor dieses Artikels

Nicolas Plinke

Senior Manager

Rechtsanwalt

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