Neuere Rechtsprechung schränkt eine "Sollgewinnbesteuerung" durch die Finanzverwaltung ein

  • 23.10.2024
  • Lesezeit 22 Minuten

Aktuelle Urteile zur „Funktionsverlagerung“: FG NDS 10 K 117/29 (Rev. BFH I R 54/23); FG NDS 10 K 310/19 (Rev. BFH I R 43/23)

Die Besteuerung von Funktionsverlagerungen gehört seit Längerem zu den Schwerpunkten in der steuerlichen Beratung und in Betriebsprüfungen. In der Praxis der Betriebsprüfungen entsteht oft der Eindruck, dass von der Finanzverwaltung auf der Basis einer angenommenen  „Funktionsübertragung“ ein Mehrergebnis angesetzt wird,  das eher einem System einer „Sollgewinnbesteuerung “ entspringt als einer Besteuerung der tatsächlichen Verhältnisse. Diesen Tendenzen in der Betriebsprüfungspraxis tritt die Rechtsprechung des BFH und der erstinstanzlichen Gerichte zunehmend entgegen.

BFH-Urteil vom 09.08.2023 – I R 54/19

Dem Urteil lag vereinfacht folgender Sachverhalt zugrunde: Die Klägerin, eine in Deutschland ansässige GmbH, deren alleiniger Gesellschafter K war, war in der Automobilzulieferbranche tätig. Nach den Darlegungen der Klägerin war die Situation in der Branche so, dass personal- und lohnintensive Fertigungsprozesse in Deutschland nicht mehr wirtschaftlich durchgeführt werden konnten und andere hochtechnologische Bereiche diese Fertigungsaktivitäten „quersubventionieren“ mussten. Der alleinige Gesellschafter K gründete deshalb eine Kapitalgesellschaft in Bosnien-Herzegowina, deren alleiniger Gesellschafter er wurde und die ab 2011 die lohn- und personalintensiven Produktionsprozesse übernahm. Mitarbeiter der Klägerin wurden zu Schulungszwecken zu dieser neugegründeten Schwestergesellschaft entsendet. 

Die zur Produktion benötigten Materialien wurden von der Klägerin eingekauft und ohne Gewinnaufschlag zu Einstandskosten an die Schwestergesellschaft weiterverkauft. Die Klägerin nahm in den Jahren 2011 und 2012 sämtliche von der Schwestergesellschaft fertiggestellten Produkte ab und verkaufte diese an die Endkunden. Die Transferpreise für diese Lieferungen wurden aufgrund einer Deckungsbeitragsanalyse ermittelt. Ab 2013 verkaufte die Schwestergesellschaft an einen der Kunden P sodann die Produkte direkt, ohne dass die Klägerin eingeschaltet wurde.

Die Betriebsprüfung vertrat die Auffassung, dass die Schwestergesellschaft ein Lohnfertiger für die Klägerin sei. Eine Funktionsübertragung liege zwar vor.  Da lediglich eine Routinefunktion übertragen worden sei, habe die Klägerin die Funktionsverlagerung aber zu Recht ohne Bezahlung eines besonderen Entgelts durchgeführt. In Bezug auf die Einstandspreise, die die Klägerin für den Produkteinkauf gezahlt hat, sei nicht eine Deckungsbeitragsmethode, sondern nur die Kostenaufschlagmethode anzuerkennen. Dabei sei ein Kostenaufschlagsatz von 12 % angemessen. Auf dieser Basis nahm die Betriebsprüfung verdeckte Gewinnausschüttungen der Klägerin an den gemeinsamen alleinigen Gesellschafter der Klägerin und der Schwestergesellschaft – den K – an.

Das Urteil der Vorinstanz (FG München v. 26.11.2019 – 6 K 1918/16)

Die Vorinstanz, das FG München, verneinte das Vorliegen einer entgeltpflichtigen Funktionsübertragung i.S.d. § 1 Abs. 3 S. 9 AStG. 

Im Hinblick auf die Funktionsverlagerung bestehen seit der Reform des § 1 AStG durch das UntSRefG 2008 und der Einführung der Funktionsverlagerungsverordnung vom 12.8.2008 gesonderte Regelungen. Wird eine Funktion einschließlich der dazugehörigen Chancen und Risiken und der mitübertragenen oder überlassenen Wirtschaftsgüter und sonstigen Vorteile verlagert und können keine eingeschränkt vergleichbaren Fremdvergleichswerte für diese Verlagerung der Funktion als Ganzes (Transferpaket) festgestellt werden (§ 1 Abs. 3 S. 5 AStG), hat der Steuerpflichtige das Transferpaket zu bewerten (§ 1 Abs. 3 S. 9 AStG). Nach der Begriffsbestimmung in § 1 Abs. 2 S. 1 Funktionsverlagerungsverordnung v. 12.8.2008 in der für die Streitjahre geltenden Fassung liegt eine Funktionsverlagerung i.S.d § 1 Abs. 3 S. 9 AStG vor, wenn das verlagernde Unternehmen dem übernehmenden Unternehmen Wirtschaftsgüter und sonstige Vorteile sowie die damit verbundenen Chancen und Risiken überträgt oder zur Nutzung überlässt, damit das übernehmende Unternehmen eine Funktion ausüben kann, die bisher von dem verlagernden Unternehmen ausgeübt worden ist, und dadurch die Ausübung der betreffenden Funktion durch das verlagernde Unternehmen eingeschränkt wird.

Das FG München führt hierzu aus, dass ausgehend von der Annahme, die Konjunktion „und dadurch“ in § 1 Abs. 2 S. 1 FVerlV dahingehend zu verstehen sei, dass eine kausale Beziehung zwischen der Funktionseinschränkung beim abgebenden und der Funktionsausübung beim aufnehmenden Unternehmen vorliegen müsse (vgl. hierzu Sommer/Kundt/Cockx ISR 2020, 246 (250); Haverkamp/Meinert Ubg 2020, 689). Dieser zitierten Literaturauffassung folgend hat das FG München eine Funktionsverlagerung im Streitfall abgelehnt, da die Funktionseinschränkung durch die Markt- beziehungsweise Wettbewerbssituation der Klägerin (kein Angebot wettbewerbsfähiger Preise möglich) ausgelöst worden sei. 

Das FG München bestätigte hingegen das Vorliegen einer verdeckten Gewinnausschüttung gem. § 8 Abs. 3 S. 2 KStG, weil die Klägerin überhöhte Einkaufspreise für die von der Schwestergesellschaft bezogenen Produkte gezahlt habe. Es reduzierte jedoch die Höhe der Gewinnkorrektur. Zunächst bestätigte das FG die Verwendung der Kostenaufschlagmethode bei der Schwestergesellschaft und folgte damit der Rechtsansicht der Finanzverwaltung. Das FG München reduzierte jedoch die Höhe der verdeckten Gewinnausschüttung, da die Schwestergesellschaft wegen der Standortvorteile in Bosnien-Herzegowina einen Kostenaufschlag von 17 % ansetzen dürfe. Da die Klägerin nur durch eine Auslandsproduktion Gewinne habe erzielen können, sei sie darauf angewiesen, dass eine ausländische Firma mit ihr zusammenarbeite. Ein fremder Geschäftsführer der Schwestergesellschaft hätte diese Abhängigkeit der Klägerin geltend machen können, denn die Klägerin hätte ggf. einen anderen qualitativ und kostenmäßig gleichwertigen Vertragspartner suchen müssen. Man halte daher einen Gewinnaufschlagsatz von 17 % für geboten.

Gegen das Urteil des FG München legten beide Seiten Revision ein. Das Urteil des BFH:

Der BFH hob das Urteil des FG München auf und verwies den Rechtsstreit zur weiteren Sachverhaltsaufklärung zurück.

Der I. Senat des BFH folgte dem FG München im Ergebnis, nicht aber in der rechtlichen Begründung darin, dass eine Funktionsverlagerung nicht vorliegt. 

Dass in der Einstellung der Produktionsaktivitäten der Klägerin und Übernahme der Lohnfertigungsfunktion durch die Schwestergesellschaft für die Klägerin ab 2011 keine Funktionsverlagerung vorlag, hat der I. Senat unausgesprochen als selbstverständlich akzeptiert. 

Näher auseinandergesetzt hat sich der BFH lediglich mit der Frage, ob in 2013 eine Funktionsverlagerung deshalb vorlag, weil seitdem die Schwestergesellschaft den Kunden P, der bis dahin Kunde der Klägerin war, ohne Einschaltung der Klägerin direkt beliefert und abgerechnet hatte. Es entstand die Rechtsfrage, ob hierin lediglich die unentgeltliche Übertragung eines immateriellen Wirtschaftsguts (Kundenbeziehung zu P) – also eine verdeckte Gewinnausschüttung i.S.d. § 8 Abs. 3 S. 2 KStG – oder weitergehend eine Funktionsübertragung i.S.d. § 1 Abs. 3 S. 9 AStG zu sehen war.

Der I. Senat des BFH hat Zweifel, ob er dem Normverständnis des FG München folgen kann und begründet dies damit, dass es für die Tatbestandsverwirklichung einer Funktionsverlagerung zunächst unerheblich sei, ob die Funktion im Inland zukünftig uneingeschränkt weiter ausgeübt werden könnte. Im Rahmen des Fremdvergleichs sei lediglich von Bedeutung, ob ein fremder Dritter bereit gewesen wäre, für das inländische Steuersubstrat (Funktion als Ganzes) ein Entgelt zu bezahlen (ebenso BMF-Schreiben v. 13.10.2010 – Verwaltungsgrundsätze Funktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774) Er lässt diese Rechtsfrage aber offen, da nach seiner Auffassung im Streitfall bereits keine Funktion i.S.v. § 1 Abs. 3 S. 9 AStG übertragen worden ist. Denn § 1 Abs. 1 S. 2 FVerlV setze voraus, dass die Funktion ein organischer Teil eines Unternehmens ist, ohne dass ein Teilbetrieb im steuerlichen Sinn vorliegen muss. Es ist weder vorgetragen noch für den Senat ersichtlich, dass die Produktion für den Kunden P als eigenständige Produktion im Unternehmen der Klägerin und damit als organischer Teil angesehen werden kann (s. allgemein Ditz/Greinert in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, Außensteuerrecht, AStG § 1 Rn. 1209; aA wohl BMF-Schreiben v. 13.10.2010 – Verwaltungsgrundsätze Funktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774).

Allerdings hob der I. Senat des BFH das Urteil des FG München wegen rechtlicher Fehler bei der Annahme einer verdeckten Gewinnausschüttung auf.

Bei der Beurteilung der Einkaufspreise der Klägerin für die Produkte der Schwestergesellschaft (im Rahmen der Lohnfertigung) bestätigt der BFH zwar die Anwendung der Kostenaufschlagsmethode, weist aber den Rechtsreit wegen Rechtsanwendungsfehler bei der Ermittlung des Aufschlagsatzes zur weiteren Sachverhaltsaufklärung zurück.

Der Umstand, dass das FG München bei dem Aufschlagsatz allgemeine Internetrecherchen des Fachprüfers als Ausgangspunkt akzeptiert, stellt für den BFH einen Rechtsanwendungsfehler dar. Denn diesen Recherchen und Darlegungen lasse sich eine Auseinandersetzung bspw. mit der Frage, welche Unternehmen, welcher Größenordnung, aus welchem Bereich der Automobilzulieferbranche Gegenstand der den Presseartikeln zugrunde liegenden Studien waren, welche Funktionen und Risiken diese Unternehmen ausgeübt und auf welchen Märkten sie agiert haben, nicht ansatzweise entnehmen. Der I. Senat kann damit den Kostenaufschlagsatz zwar dem Grunde, nicht aber der Höhe nach nachvollziehen. 

Im Übrigen hebt der BFH das Urteil des FG München deshalb auf, weil eine verdeckte Gewinnausschüttung im Zusammenhang mit der Überlassung der Kundenbeziehung zu P an die Schwestergesellschaft denkbar sei, weil hierin die Übertragung einer Geschäftschance zu sehen sei (vgl. Senatsurteil v. 30.08.1995 – I R 155/94, BFHE 178, 371, DStR 1995, 1873; Gosch, KStG, 4. Aufl., § 8 Rn. 850a ff.; Neumann in Rödder/Herlinghaus/Neumann, KStG, 2. Aufl., § 8 Rn. 1220 ff., 1224; Rengers in Brandis/Heuermann, KStG § 8 Rn. 776 ff.).

Anmerkung

Das Urteil des I. Senats enthält weitere wichtige Hinweise zur richtigen Vorgehensweise bei den Schätzungen zur Höhe der verdeckten Gewinnausschüttung gem. § 8 Abs. 3 S. 2 KStG, auf die hier nicht näher eingegangen werden soll.

Für die Beurteilung des Vorliegens einer Funktionsverlagerung i.S.d. hier anwendbaren § 1 Abs. 3 S. 9 AStG (i.d.F. des UntStRefG 2008) enthält das Urteil zentrale Aussagen.

So wird eine „Atomisierung“ des Funktionsverlagerungsbegriffs vom I. Senat abgelehnt.

Der BFH entschied, dass die reine Produktion für einen Kunden nicht als Funktion zu qualifizieren ist, wenn diese nicht als eigenständiger bzw. organischer Teil des (verlagernden) Unternehmens angesehen werden kann.

Der Begriff der Funktion ist in § 1 Abs. 1 FVerlV definiert. Diese Definition ist in der FVerlV 2023 sowie in der für die Streitjahre geltenden Fassung v. 12.08.2008 identisch. Demnach ist eine Funktion „eine Geschäftstätigkeit, die aus einer Zusammenfassung gleichartiger betrieblicher Aufgaben besteht, die von bestimmten Stellen oder Abteilungen eines Unternehmens erledigt werden.“

Nach dem bisherigen Begriffsverständnis der Verwaltung sind auch beliebig kleine und „atomisierte“ Tätigkeitsbereiche erfasst. Der BFH teilt diese Auffassung der Finanzverwaltung mit dem vorliegenden Urteil nicht.

Ein von der Verwaltung vertretenes, weites Begriffsverständnis steht nicht im Einklang mit § 1 Abs. 1 S. 2 FVerlV, wonach eine Funktion
„ein organischer Teil eines Unternehmens ist, ohne dass ein Teilbetrieb im steuerlichen Sinn vorliegen muss.“

Der BFH hat mit dem vorliegenden Urteil entschieden, dass die Produktion für einen Kunden nur dann als organischer Teil des Unternehmens angesehen werden kann, wenn sie über eine gewisse Eigenständigkeit verfügt. Im entschiedenen Fall war dies nicht erfüllt. Entsprechend kritisch ist die Rechtsauffassung der Finanzverwaltung zu sehen, wonach eine teilweise Übertragung oder Überlassung einer Funktion genügt.

Der Tendenz nach kritisch steht der BFH auch Auffassungen in der Literatur gegenüber, die eine „Kausalität“ zwischen der Funktionseinschränkung und der Übernahme der Funktion durch das verbundene Unternehmen als Voraussetzung der Funktionsverlagerung ansehen. In der aktuellen Fassung des § 1 Abs. 2 FVerlV (2023) steht die entsprechende Formulierung   „und dadurch“ - nicht mehr. Der Kausalität zwischen Verlagerung und Funktionseinschränkung beim verlagernden Unternehmen könnte damit die Wortlautgrundlage ohnehin entzogen sein. 

In der Praxis stellt sich bei Verlagerungen von Produktionsfunktionen regelmäßig die Frage, ob eine Auftragsfertigung oder Lohnfertigung vorliegt bzw. vorliegen soll, was sich insbesondere in Bezug auf das Eigentum an der Ware unterscheidet. Folglich ist dann auch bei der Vergütung von Produktionsleistungen im Falle der üblichen Anwendung einer Kostenaufschlagsmethode zu unterscheiden, ob das Material in die Kostenbasis aufzunehmen ist oder nicht. 

FG Niedersachsen – Urteil vom 3.8.2023 – 10 K 117/20 (Rev. Eingelegt, Az BFH I R 54/23)

Dem Urteil lag vereinfacht folgender Sachverhalt zugrunde:
Die Klägerin, eine in Deutschland ansässige Kapitalgesellschaft, gehört zur multinationalen A-Gruppe, deren oberste Muttergesellschaft in den USA ansässig war. 

Sämtliches IP der A-Gruppe, insbesondere Patente, Know-How, Designs und Marken stand im Eigentum der B, einer ebenfalls in den USA ansässigen gruppenzugehörigen Gesellschaft. Die Entwicklung des IP erfolgte ausschließlich durch in den USA und in UK ansässige gruppenzugehörige Gesellschaften. Bis 2010 bestand ein Lizenzvertrag zwischen der B und allen operativ tätigen europäischen Gesellschaften. Auf der Grundlage dieses Lizenzvertrages war die operative deutsche Gesellschaft berechtigt, das IP auf nicht exklusiver Basis zu nutzen. Der Lizenzvertrag umfasste sämtliche Bereiche der betrieblichen Leistungserstellung, d.h. sowohl den Produktionsbereich als auch den Vertriebsbereich. Der Lizenzvertrag sah eine Laufzeit bis 2013 vor, die sich bei Nichtkündigung jeweils um ein weiteres Jahr verlängerte. Die Klägerin stellte auf dieser Grundlage Produkte her und vertrieb diese und zahlte dafür eine Lizenzgebühr in Höhe von x % ihrer Nettoumsätze an die B.

Zudem bestand bis 2011 ein Dienstleistungsvertrag zwischen einer gruppenzugehörigen französischen Gesellschaft und der Klägerin. Danach traf die französische Gesellschaft alle strategischen Entscheidungen über Unternehmensstrategien Investitionen, Abschluss von europaweiten Beschaffungsverträgen und die Betreuung der Großkunden und legte die Kosten dafür u.a. auf die Klägerin um.

Die Klägerin – als operative Gesellschaft – stellte bis 2010 demnach die Produkte unter Nutzung der überlassenen Lizenz her und vertrieb sie im eigenen Namen auf eigene Rechnung an Kunden im deutschen Markt. Außerdem übte sie die Funktion der Lagerhaltung und Logistik aus und kaufte Hilfs- und Betriebsstoffe für die Produktion ein. Verhandlungen mit den Zulieferern führte jedoch die französische Gesellschaft. Die Klägerin rief nur die verhandelten Mengen ab.

Zum 01.01.2011 wurde das Geschäftsmodell umgestellt und eine europaweite Prinzipalstruktur etabliert, um durch eine Zentralisierung von Planungs- Beschaffungs- und Vertriebsprozessen und eine verbesserte Steuerung der Produktionstätigkeit Kostenvorteile und Vorteile im Hinblick auf eine konsistente Vertriebsstruktur in Europa zu erreichen. Die verbundenen Unternehmen – also auch die deutschen Gesellschaften der Gruppe – wurden von diesem Zeitpunkt an als Routineunternehmen für den Prinzipal tätig, z. B. als Auftrags- oder Lohnfertiger oder als risikoarme Vertriebsgesellschaft (Limited Risk Distributor). Die Prinzipalgesellschaft ist seit dem 01.01.2011, die E eine der A-Gruppe zugehöriges Unternehmen in der Schweiz.

Die Lizenzverträge wurden seit dem 01.01.2011 mit der E abgeschlossen, die ihrerseits einen Lizenzvertrag mit dem Recht zur Unterlizenzierung mit der B abschloss. Das Eigentum am IP stand also weiterhin der B zu, die ihrerseits ihren mit der Klägerin abgeschlossenen Lizenzvertrag kündigte Die Klägerin übertrug keine materiellen oder immateriellen Wirtschaftsgüter an die E. Um zu berücksichtigen, dass die operativen deutschen Gesellschaften vom 01.01.2011 bis 01.01.2013 auch noch aus dem eigenen Lizenzvertrag das IP hätte nutzen können, die E aber seit der Umstrukturierung sämtliche Geschäftsrisiken trug, vereinbarten die E und die Klägerin, dass der während des Zeitraums zwischen dem 01.01.2011 bis 01.01.2023 erzielte Gewinn zwischen den Parteien aufgeteilt wird. E schloss zudem mit der Klägerin einen Auftragsfertigungsvertrag ab. Die Preise für die Lieferungen der Klägerin an die E wurden nach der Kostenaufschlagsmethode ermittelt. Im Übrigen wurde eine Kompensationszahlung für Gewinnminderung wegen der Teilnahme an der Prinzipalgesellschaft vereinbart. Die Berater gingen dabei von einer Funktionsverlagerung und der Übertragung eines Transferpaktes aus, das mit einem zweijährigen Kapitalisierungszeitraum bewertet wurde.

Die Betriebsprüfung ging von einer Funktionsverlagerung in 2011 aus, da wesentliche Funktionen von Deutschland in die Schweiz verlagert wurden. Dies betreffe zwar nicht die Gesamtfunktion „Herstellung und Vertrieb von Produkten“. Allerdings werde die Entrepreneurs-Eigenschaft der Klägerin erfasst, weil sie diese auf die Prinzipalgesellschaft übertragen habe und diese Eigenschaft somit verlagert worden sei. Es sei ein lebensfähiger organischer Teilbetrieb übertragen worden, da unternehmerische Tätigkeiten in den Bereichen Verkauf, Marketing, Vertrieb und Fertigung und damit ein selbständiger organischer Teil eines Gesamtbetriebes übertagen worden sei. Es seien die notwendigen immateriellen Wirtschaftsgüter auf die E übertragen worden, wie z.B. Lieferantenkontakte, Marktkenntnisse, eigenständiger Marktzugang, Kundenstamm und Vertriebsorganisation. Die übertragenen Funktionen seien als Ganzes zu bewerten. Gemäß § 6 FVerlV sei das Transferpaket unter Berücksichtigung eines unbegrenzten Kapitalisierungszeitraums zu bewerten, weil kein endlicher Kapitalisierungszeitraum glaubhaft gemacht worden sei. Derlei Anhaltspunkte seien nicht aus dem Lizenzvertrag abzuleiten. Es hätte die glaubhafte Möglichkeit der Versagung der Lizenz gegenüber der Klägerin nicht bestanden, weil die Lizenzgewährung an die E (scil.: und die Unterlizenzierung an die Klägerin) zwingend gewesen sei.

Entscheidungsgründe

Die Klage, die sich gegen die Besteuerung der Funktionsverlagerung richtete, hatte Erfolg.

Der Ansatz einer verdeckten Gewinnausschüttung gem. § 8 Abs. 3 S. 2 KStG wurde abgelehnt. Geprüft wurde, ob eine Geschäftschance infolge der Umstrukturierung übertragen wurde. Darunter sei die Aussicht zu verstehen, aus einem tatsächlichen (oder einem sich erst anbahnenden) Geschäft, ggf. auch aus einer betrieblichen Funktion, zukünftig Gewinn zu erzielen. Die so verstandene Chance muss hinreichend verselbständigt sein, von anderen Wirtschaftsgütern unterscheidbar sein und über ein Gewinnpotential verfügen, für das ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter gewöhnlich ein Entgelt einfordern würde und für das ein fremder Dritter bereit wäre, ein entsprechendes Entgelt zu leisten. Im Regelfall – aber nicht zwingend – ist diese Geschäftschance ein immaterielles Wirtschaftsgut, das entgeltlich übertragen werden kann. Der Vorteil muss sich so konkretisiert haben, dass er eigenständig bewertbar ist, wobei es sich bei dem Vorteil nicht zwingend um eine rechtlich abgesicherte Position handeln muss.

Im vorliegenden Fall fehle es an einer Geschäftschance. Allein die Verlagerung von Risiken und die damit verbundene Verschiebung von Gewinnpotentialen reiche nicht aus. Vermögenswerte Positionen haben nach Auffassung des FG für die Klägerin auch vor der Umstrukturierung nicht bestanden. Die unternehmensstrategischen Entscheidungen seien bereits vor der Umstrukturierung nicht von der Klägerin getroffen worden, sondern von der französischen Schwestergesellschaft. Die Produktion und den Vertrieb für den deutschen Markt hat die Klägerin auch nach der Umstrukturierung im Wesentlichen unverändert selbst fortgeführt. Die maßgebliche Veränderung für die Klägerin durch die Umstrukturierung liege einzig darin, dass die Klägerin durch den Abschluss des Auftragsfertigungsvertrags und des Vertriebsvertrages mit der E nunmehr für die Produktion und den Vertrieb festgelegte Beträge vergütet bekommen habe und für die Ertragsaussichten nicht mehr selbst verantwortlich sei. Im Gegenzug besteht für die Klägerin jedoch aufgrund dieser Verträge kein Verlustrisiko mehr, da sämtliche Verluste von der E ausgeglichen werden. In der bloßen Veränderung der Gewinnstruktur sei deshalb keine Übertragung einer vermögenswerten Position zu erkennen.

Aus den abgeschlossenen Auftragsfertigungs- und Vertriebsverträgen resultieren keine weiteren verdeckten Gewinnausschüttungen.
Aus dem  gezahlten Vorteilsausgleich könne keine verdeckte Gewinnausschüttung abgeleitet werden, da die Klägerin durch die begrenzte Laufzeit der Lizenzverträge und deren Kündbarkeit hätte „kaltgestellt“ werden können.

Eine Einkünftekorrektur wegen einer Funktionsverlagerung i.S.d. § 1 Abs. 3 S. 9 AStG scheide ebenfalls aus.

§ 1 Abs. 1 FVerlV definiert die Funktion als Geschäftstätigkeit, die aus einer Zusammenfassung gleichartiger betrieblicher Aufgaben besteht, die von bestimmten Stellen oder Abteilungen eines Unternehmens erledigt werden. Sie ist ein organischer Teilbereich der unternehmerischen Gesamtaufgabe, ohne dass ein steuerlicher Teilbetrieb vorliegen müsse. Eine gewisse Eigenständigkeit sei unerlässlich. Die Finanzverwaltung geht neben diesem tätigkeitsbezogenen Begriffsverständnis von einem objekt- bzw. produktbezogenen Begriffsverständnis aus (BMF vom 13.10.2020; BStBl I, 774), während in der Literatur auf einen Geschäftsbereich abgestellt wird.

Nach § 1 Abs. 2 S. 1 FVerlV ist zudem die Feststellung erforderlich, dass Wirtschaftsgüter und sonstige Vorteile „sowie damit verbundene Chancen und Risiken“ übertragen werden. Nach § 1 Abs. 3 S. 9 AStG sollen nicht nur konkrete Geschäftschancen, sondern nach S. 5 sämtliche Gewinnpotentiale der Besteuerung unterworfen werden. Insoweit geht es nicht allein um die Realisierung der bereits unter deutscher Steuerhoheit entstandenen stillen Reserven, sondern vielmehr auch um künftige im Ausland möglicherweise erst entstehende Gewinne, die der deutschen Besteuerung zugeführt werden.

Nach diesen Grundsätzen liege keine Funktionsverlagerung vor, da weder Wirtschaftsgüter noch sonstige Vorteile sowie Geschäftschancen von der Klägerin auf die E übertragen worden sei. Es liegt keine Übertragung immaterieller Wirtschaftsgüter vor. In der Kündigung des nicht exklusiven Lizenzvertrages und dem Neuabschluss mit der E liegt keine Übertragung eines immateriellen Wirtschaftsguts vor, weil es an einem unmittelbaren Übertragungsvorgang von der Klägerin an die E fehlt. 

Auch ein Kundestamm ist nicht übertragen worden. Kundendaten seien innerhalb eines Konzerns ohnehin keine exklusiven Daten, auf die die Klägerin exklusiven Zugang hatte. Zudem sind die Großkunden auch schon vor der Umstrukturierung nicht von der Klägerin, sondern von der französischen Schwestergesellschaft beliefert worden. 

Im Übrigen ist die E nicht durch die Verlagerung von Funktionen von der Klägerin, sondern durch die Verlagerung von Funktionen der französischen Tochtergesellschaft in die Lage versetzt worden, als Prinzipal zu agieren. Es fehle insofern an dem für die Funktionsübertagung vorausgesetzten Kausalzusammenhang.

Anmerkung

Zunächst ist hervorzuheben, dass das FG eine Funktionsverlagerung nur dann für möglich hält, wenn auch Wirtschaftsgüter und sonstige Chancen übertragen wurden. Da das IP ohnehin von ausländischen verbundenen Unternehmen gehalten wurde, musste also im Wesentlichen geprüft werden, ob auch Geschäftschancen übertragen wurden, was vom FG verneint wurde. Es war insofern für das FG unerheblich, dass damit das Gewinnpotential für die Klägerin eingeschränkt wird.

Die Besonderheit des Falles lag darin, dass die Klägerin ohnehin vertraglich so in den Konzern eingebunden war, dass sie hätte „kaltgestellt“ werden können (siehe die Zwischenüberschrift in: IStR 2024, 661 (664)). Sie war schon vor der Umstrukturierung in einer „abhängigen“ Position, die im Wesentlichen durch den kündbaren nicht exklusiven Lizenzvertrag als Grundlage ihrer gesamten Geschäftstätigkeit geprägt wurde. Auf der Grundlage der Rechtsansicht des FG Niedersachsen gewinnt damit das schuldrechtliche Vertragskonzept wesentliche Bedeutung für das Vorliegen oder Nichtvorliegen einer Funktionsverlagerung. Die Funktionsverlagerung wäre damit rechtlich gestaltbar. Die Funktion als solche lässt sich nur unter Berücksichtigung der vertraglichen Grundlagen beurteilen. Nach dieser Auslegung ist die Übertragung eines behaupteten „Gewinnpotentials“ kein Grund für die Annahme einer Funktionsverlagerung. 

Man wird abwarten müssen, ob dies der BFH akzeptiert. Zudem wurde § 1 Abs. 3 S. 9 AStG mittlerweile mehrfach reformiert und die Funktionsverlagerung ist nunmehr in § 1 Abs. (3b) AStG neu geregelt. Verlangt wird für eine Funktionsübertragung nach § 1 Abs. (3b) AStG nicht mehr zwingend die Übertragung von Wirtschaftsgütern, da durch die Verwendung des Wortes „oder“ anstatt „und“ es ausreicht, dass „sonstige Vorteile“ verlagert werden. Damit ist man aber wieder nah bei der „Übertragung einer Geschäftschance“.

Im internationalen Kontext des Konzerns ist das Urteil des FG Niedersachsen sehr zu begrüßen. In dem konkreten Fall geht es tatsächlich eher darum, ob die amerikanische Gesellschaft, die Eigentümer des IP war und die französische Gesellschaft „Funktionen“ auf die schweizerische E übertragen haben. In diesem Kontext würde eine weite Auslegung des Begriffs der „Funktionsverlagerung“ eher die Gefahr einer Mehrfachbesteuerung auslösen, die durch die sehr vernünftigen Erwägungen des FG Niedersachsen auf ein überschaubares Maß gestutzt werden würde.

Das FG Niedersachsen hat u.a. auf eine fehlende kausale Verknüpfung abgestellt, was der BFH allerdings mit Urteil vom 09.08.2023 (I R 54/19 – siehe oben) stark anzweifelt. U.E. gehört diese Urteilspassage allerdings nicht zu den tragenden Gründen des Urteils. Zudem wird in diesem Zusammenhang gerade angesprochen, dass keine Funktionen von der Klägerin, sondern von anderen Konzernunternehmen auf die E übertragen wurden. Diese Aussage geht über den Kausalzusammenhang hinaus.

FG Niedersachsen – Urteil vom 16.03.2023 – 10 K 310/19 (Rev. eingelegt, Az BFH I R 43/23)

Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zugrunde

Die Z ist die Spitze eines weltweit agierenden Konzerns. Auf Konzernebene wurde beschlossen, die Produktion bei der Tochtergesellschaft X einzustellen und die Produktion künftig weitestgehend durch die Tochtergesellschaft Y durchzuführen. Die Produktionsanlagen wurden von X an Schwestergesellschaften verkauft. Die Schließungskosten wurden von der Y getragen. Weitere Entschädigungszahlungen wurden nicht geleistet.

Die Betriebsprüfung würdigte den Vorgang als Funktionsverlagerung auf die Tochtergesellschaft Y und bewertete ein Transferpaket. Nach Abzug der Veräußerungserlöse für die Produktionsanlagen und der Erstattung der Schließungskosten ergab sich nach Auffassung der Finanzverwaltung ein Mehrergebnis auf der Grundlage des § 1 Abs. 3 S. 9 AStG in Höhe von X Euro.

Die hiergegen gerichtete Klage war erfolgreich.

Entscheidungsgründe

Mangels Geschäftschancenübertragung liegt keine verdeckte Gewinnausschüttung vor.

Die Finanzverwaltung hat im Verfahren die Auffassung vertreten, dass die Einstellung einer gewinnbringenden Produktion und die Übernahme durch ein konzernverbundenes Unternehmen eine Geschäftschancenübertragung sei.

Dies lehnt das FG Niedersachsen ab, da der Klägerin (der X) die Produktionsaufträge von konzernverbundenen Unternehmen ohne Rechtsanspruch auf Beibehaltung der Auftragsmengen nur fallweise übertragen wurden. Da der Produktionsumfang im Belieben der Konzernspitze stand, hatte insoweit die Klägerin keine „eigene“ Geschäftschance in Form einer werthaltigen Marktposition. Die Fiktion der Selbstständigkeit im Rahmen des Drittvergleichs ändere daran nichts.
Entsprechend wurde auch wegen der engen Einbindung in den Konzern die Übertragung eines werthaltigen Kundenstammes abgelehnt.

Eine Einkünftekorrektur wegen einer Funktionsverlagerung nach § 1 Abs. 3 S. 9 AStG scheide ebenfalls aus. Zwar stellt die Produktion eine Funktion im tätigkeitsbezogenen Sinne dar. Erforderlich ist aber, dass Wirtschaftsgüter und sonstige Vorteile übertragen wurden. Die Übertragung des Gewinnpotentials sei kein immaterielles Wirtschaftsgut und eine werthaltige Geschäftschance sei ebenfalls nicht auf die Y übertragen worden, denn die Produktionsanlagen wurden an andere Schwestergesellschaften zum Fremdvergleichspreis verkauft.

Anmerkung

Die Parallelen zu FG Niedersachsen 10 K 117/20 sind unübersehbar. In diesem Fall kommt hinzu, dass Wirtschaftsgüter übertragen wurden (an die anderen Schwestergesellschaften), aber nicht an die potenzielle Funktionsübernehmerin. Damit hat sich das FG Niedersachsen auch darangehalten, die konkrete Transaktion zwischen der Klägerin und der Schwestergesellschaft Y zu untersuchen und nicht die Aufgabe der Produktionsfunktion als Transferpaket anzusehen, was die Sichtweise der Finanzverwaltung im vorliegenden Fall nahelegen würde. Auch dieser Auslegung ist u.E. zuzustimmen, da die Funktionsverlagerung keine Entstrickungsbesteuerung bewirken soll, sondern zusätzlich auch Steuergut abgreifen soll, das nicht im Inland erwirtschaftet wurde. Einer solchen ausufernden Tendenz tritt das FG Niedersachsen auf der Tatbestandsseite wirksam entgegen. Man wird abwarten müssen, wie der BFH entscheidet.

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Autoren dieses Artikels

Carsten Hüning

Partner, Global Leader Transfer Pricing

Asen Asenov

Partner

Steuerberater

Georg Scholz, LL.M.

Partner

Rechtsanwalt

Dr. Klaus-Jörg Dehne

Head of Quality Legal & Tax

Rechtsanwalt

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