Rechtsprechung des BFH zum Nachweis einer kürzeren Restnutzungsdauer von Gebäuden wendet Finanzverwaltung nur eingeschränkt an

  • 22.03.2023
  • Lesezeit 5 Minuten

Mit dem Schreiben des Bundesfinanzministeriums (BMF) vom 22.02.2023 hat die Finanzverwaltung erstmals zu der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) aus dem Jahr 2021 Stellung genommen. Dabei geht es um die Frage, wie eine von der typisierten abweichende Nutzungsdauer bei der Abschreibung von Gebäuden nachgewiesen werden kann.

Grundsätzlich ist die Abschreibung von zur Einkünfteerzielung eingesetzten Gebäuden nach den typisierten Sätzen des § 7 Abs. 4 S. 1 EStG vorzunehmen. Das Gesetz unterstellt hierbei, je nach Art und Baujahr des Gebäudes (betriebliche Nutzung oder Nutzung zur Erzielung von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung), Nutzungsdauern von 50, 40 oder 33 Jahren.  

Nach Satz 2 der Vorschrift kann indes eine kürzere, tatsächliche Nutzungsdauer nachgewiesen und damit den Abschreibungen zugrunde gelegt werden. 

Wie muss eine verkürzte Nutzungsdauer nachgewiesen werden? 

Weitgehend ungeklärt war die Frage, wie eine verkürzte Nutzungsdauer im Einzelnen nachgewiesen werden muss. Der BFH hat hierzu mit Urteil vom 21.07.2021 (IX R 25/19) entschieden, dass jede Darlegungsmethode, die im Einzelfall zur Führung des erforderlichen Nachweises geeignet erscheint, zulässig ist. Erforderlich ist hiernach, dass sich aus dem Nachweis Aufschluss über die maßgeblichen Determinanten, d.h. z.B. der technische Verschleiß, die wirtschaftliche Entwertung oder etwaige rechtliche Nutzungsbeschränkungen, ergeben. Eine Schätzung der Nutzungsdauer unter Berücksichtigung dieser Parameter ist demzufolge nur dann zu verwerfen, wenn sie eindeutig außerhalb des angemessenen Schätzungsrahmens liegt.  

Welche Rolle spielt die Immobilienwertermittlungsverordnung? 

Im konkreten Fall hat der BFH das Gutachten eines öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen als zulässige Grundlage erachtet. Dessen Beurteilung beruht auf Modellannahmen zur Ableitung der wirtschaftlichen Restnutzungsdauer der Immobilienwertermittlungsverordnung (ImmoWertVO), die im Rahmen der Erstellung von Verkehrswertgutachten herangezogen werden. Dass diese modellhaften Ermittlungen nicht primär zur Ermittlung von Nutzungsdauern herangezogen werden, hat der BFH als unwesentlich betrachtet. Insbesondere ist es für den BFH nicht notwendig, ein Bausubstanzgutachten heranzuziehen. 

In mehreren nachfolgenden Urteilen der Finanzgerichte wurde die für den Steuerpflichtigen günstige Rechtsprechung angewendet (FG Köln vom 23.03.2022, 6 K 923/20; FG Münster vom 27.01.2022, I K 1741/18 E, FG Münster vom 14.02.2023, 1 K 3840/19 F). 

Die Finanzverwaltung nimmt mit ihrem BMF-Schreiben klare Stellung zu modellhaften Ansätzen durch ImmoWertVO 

Nachdem als Reaktion des Gesetzgebers zunächst geplant war, § 7 Abs. 4 S.2 EStG im Rahmen des Jahressteuergesetzes 2022 zu streichen, diese Streichung jedoch nicht umgesetzt wurde, hat sich nunmehr die Finanzverwaltung erstmalig mit einem BMF-Schreiben geäußert. Wesentliche Aussage dieses Schreibens ist, dass es nach dortiger Ansicht nicht ausreichend ist, mit einem Immobilienwertgutachten eine kürzere Restnutzungsdauer nachzuweisen, welches nicht primär auf den Nachweis einer kürzeren Restnutzungsdauer gerichtet ist. Insbesondere erkennt die Finanzverwaltung Verkehrswertgutachten, die auf modellhaften Ansätzen der ImmoWertVO beruhen, für diese Zwecke als nicht sachgerecht an.  

Im Falle einer verkürzten Nutzungsdauer steht die technische Beurteilung nach DIN EN ISO/IEC 17024 im Vordergrund 

Die Finanzverwaltung stellt die technische Nutzungsdauer in den Vordergrund und verlangt eine Beurteilung der Nutzungsdauer von der jeweiligen Tragstruktur, wozu das Dach, Wände, Geschossdecken und das Fundament zählen. Für eine kürzere Nutzungsdauer sei erforderlich, dass durch technischen Verschleiß der tragenden Teile das Gebäude in seiner Gesamtheit in seiner Nutzungsfähigkeit beeinträchtigt wäre.  Eine wirtschaftliche Entwertung könne ausnahmsweise nur zugrunde gelegt werden, wenn das Gebäude objektiv wirtschaftlich verbraucht ist, d.h. die Möglichkeit einer wirtschaftlich sinnvollen anderweitigen Nutzung oder Verwertung endgültig entfallen ist.  

Insofern fordert die Finanzverwaltung ein Gutachten eines öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen oder einer nach DIN EN ISO/IEC 17024 akkreditierten Stelle für die Bewertung von Immobilien. Im Rahmen dieses Gutachtens sei der Zustand des Gebäudes in seinen die Nutzungsdauer bestimmenden Elementen darzustellen und zusätzlich darzulegen, warum am Ende i ermittelten Restnutzungsdauer keine wirtschaftlich sinnvolle Nachfolgenutzung mehr möglich sei. Das Gutachten müsse ausdrücklich dem Zweck dienen, die Nutzungsdauer zu ermitteln und hierbei den technischen Verschleiß, die wirtschaftliche Entwertung oder etwaige rechtliche Nutzungsbeschränkungen einbeziehen. 

Insgesamt verlangt die Finanzverwaltung, die kürzere Nutzungsdauer prognostisch zu bestimmen und dabei auch ungewisse künftige Ereignisse zu berücksichtigen. Die hieraus abgeleitete größtmögliche Wahrscheinlichkeit bilde die Basis für die Schätzung der Nutzungsdauer. 

Die Finanzverwaltung fordert strengere Maßstäbe an den Nachweis einer verkürzten Nutzungsdauer 

Letztendlich fegt die Finanzverwaltung mit Ihrem BMF-Schreiben vom 22.02.2023 die für den Steuerpflichtigen günstige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs vom Tisch und stellt deutlich strengere Maßstäbe an den Nachweis einer verkürzten Nutzungsdauer. Insbesondere ist zu befürchten, dass unter Einbeziehung von „ungewissen künftigen Ereignissen“ es einer Wahrscheinlichkeitsprognose hinsichtlich ihres Eintritts bedarf, wodurch die Geltendmachung von verkürzten Nutzungsdauern nur noch in den seltensten Fällen zum Erfolg führen wird. Allerdings gilt, da keine Anpassung des Gesetzes erfolgte, die günstige Rechtsprechung weiterhin. Im Zweifel gilt es daher abzuwägen, ob der steuerliche Vorteil der Geltendmachung einer verkürzten Nutzungsdauer die Durchführung eines langwierigen Klageverfahrens überwiegt. Auf jeden Fall muss, wenn sich auf die Rechtsprechung im Rahmen einer Steuererklärung gestützt wird, ein entsprechender Hinweis in der Steuererklärung erfolgen, da von der Verwaltungsauffassung abgewichen wird.  

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Autor dieses Artikels

Lars Lesser

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