Koalitionsvertrag und Steuerrecht – Ein Dokument des steuerlichen Pragmatismus

Koalitionsvertrag und Steuerrecht – Ein Dokument des steuerlichen Pragmatismus
  • 11.04.2025
  • Lesezeit 7 Minuten

CDU/CSU und SPD haben ihren Koalitionsvertrag für die neue Legislaturperiode vorgestellt. Das Papier, das noch unter dem Vorbehalt der Zustimmung der Parteigremien steht, formuliert politische Leitlinien in einer Zeit wirtschaftlicher und geopolitischer Unsicherheit.

Im Bereich der Steuerpolitik setzt die designierte Koalition auf eine Strategie der punktuellen Veränderung bei gleichzeitiger Bewahrung fiskalischer Stabilität. Es finden sich weder eine große Steuerstrukturreform noch drastische Eingriffe in das bestehende System. Beabsichtigt sind gezielte Entlastungen, steuerliche Investitionsanreize für Unternehmen sowie eine moderate Digitalisierung der Verwaltung. Auffällig ist, dass geplante Änderungen teilweise erst in zwei bis drei Jahren umgesetzt werden sollen und alle Maßnahmen unter „Finanzierungsvorbehalt“ stehen. 

Einkommensteuer: Entlastung mit Verzögerung, punktuelle Anpassungen 

Zur Mitte der Legislaturperiode ist eine Einkommensteuerentlastung für kleine und mittlere Einkommen vorgesehen. Das Papier nennt keine Details, sowohl hinsichtlich des Tarifsystems als auch hinsichtlich des Entlastungsvolumens. 

Der Solidaritätszuschlag bleibt unverändert bestehen. Die erfolglose Verfassungsbeschwerde gegen den Solidaritätszuschlag (Urteil des BVerfG vom 26. März 2025) hat diese Entscheidung wohl begünstigt. 

Weitere Einzelmaßnahmen: 

  • Überstunden, die über das tariflich geregelte Maß der Vollzeit hinausgehen, sollen steuerfrei gestellt werden. 
  • Als Vollzeit gelten tariflich vereinbarte Wochenarbeitszeiten ab 34 Stunden, in anderen Fällen 40 Stunden.  
  • Arbeitgeberprämien zur Ausweitung von Teilzeit auf Vollzeit sollen steuerlich begünstigt werden.  
  • Die Entfernungspauschale wird zum 1. Januar 2026 auf 38 Cent ab dem ersten Kilometer erhöht. 
  • Arbeitnehmer, die nach Erreichen des gesetzlichen Rentenalters freiwillig weiterarbeiten, sollen bis zu 2.000 Euro Gehalt monatlich steuerfrei erhalten. 
    • Weitere Details zu Vorhaben im Arbeits- und Sozialrecht, erhalten Sie hier

Körperschaftsteuer: Langfristige Perspektive statt akutem Impuls 

Ein zentrales Element des Vertrags ist die geplante stufenweise Absenkung des Körperschaftsteuersatzes von 15 % auf 10 % – beginnend im Jahr 2028, in jährlichen Schritten bis 2032. Mit Blick auf die im internationalen Standortwettbewerb vergleichsweise hohe Unternehmensbesteuerung in Deutschland (ca. 30 %) ist dieser Schritt zu begrüßen. Allerdings liegt die vollständige Wirkung der geplanten Entlastung außerhalb der aktuellen Legislaturperiode. 

Gewerbesteuer: Erhöhung Mindesthebesatz 

Erstmals wird der bundesweite Mindesthebesatz der Gewerbesteuer angehoben – von 200 auf 280 %. Die effektive Mindestbelastung steigt damit auf ca. 9,8 %. Dies trägt dem Ziel Rechnung, „Scheinsitzverlegungen in Gewerbesteuer-Oasen wirksam zu begegnen“.  

Rechtsformfragen: Weitere Annäherung an die rechtsformneutrale Unternehmensbesteuerung? 

Zudem plant die Koalition eine Prüfung, ob ab dem Jahr 2027 die gewerblichen Einkünfte neu gegründeter Unternehmen unabhängig von ihrer Rechtsform in den Geltungsbereich der Körperschaftsteuer fallen können.  

Gleichzeitig soll die rechtsformneutrale Besteuerung verbessert werden: 

  • Das Optionsmodell (§ 1a KStG) und die Thesaurierungsbegünstigung (§ 34a EStG) sollen praxistauglicher geregelt werden.  
  • Beide äußerst komplex ausgestalteten und mit vielen Unsicherheiten behafteten Instrumente betreffen Personengesellschaften – eine Vereinfachung wäre von hoher Relevanz. Details hierzu beinhaltet das Papier nicht. 
Investitionsanreize: Steuerlicher Rückenwind für die Transformation 

Die Koalition kündigt mehrere steuerliche Maßnahmen zur Förderung von Investitionen und Transformation an: 

  • Degressive Abschreibung von 30 % auf Ausrüstungsinvestitionen, befristet auf die Jahre 2025 bis 2027 („Investitions-Booster“). 
  • Einführung eines Deutschlandfonds: Private und staatliche Investitionen sollen gebündelt werden, mit einem Bundesbeitrag von mindestens 10 Mrd. Euro. Mithilfe von privatem Kapital und Garantien sollen die Fondsmittel auf mindestens 100 Mrd. Euro gehebelt werden. 
  • Steuerliche Förderung von Elektromobilität, insbesondere durch Sonderabschreibungen für E-Fahrzeuge und Anpassungen bei den Dienstwagenregelungen (steuerliche Förderung bis zu einer Bruttopreisgrenze von 100.000 Euro). 
Digitalisierung & Bürokratieabbau: (Steuerliche) Verfahrensvereinfachung  

Die Steuerverwaltung soll moderner, digitaler und effizienter werden. Geplant sind unter anderem: 

  • Einführung einer Selbstveranlagung für Körperschaften und Personengesellschaften. 
  • Vorausgefüllte und automatisierte Steuererklärungen sollen ausgebaut und die Pflicht zur digitalen Abgabe von Steuererklärungen schrittweise verpflichtend werden. 
  • Der Einsatz von künstlicher Intelligenz in der Finanzverwaltung wird systematisch weiterentwickelt. 
  • Bei steuerlichen Gesetzgebungsverfahren wird künftig verstärkt auf Digitalisierbarkeit und Vereinfachung geachtet. 

Weitere Maßnahmen, die den Bürokratieabbau fördern sollen: 

  • Prüfung einer "Genehmigungsfiktion" (automatische Genehmigung bei Fristversäumnis) für Fälle, in denen diese nicht spezialgesetzlich ausgeschlossen ist (bestimmte Anträge könnten nach Ablauf einer Frist als genehmigt gelten). 
  • Umstellung der Einfuhrumsatzsteuer auf ein Verrechnungsmodell. 
  • Moratorium für neue Statistikpflichten über zwei Jahre. 
  • Abbau von Schriftformerfordernissen, insbesondere im Arbeitsrecht. 
  • Förderung von Typisierungen, Pauschalierungen und Standardisierungen bei steuerlichen Verpflichtungen. 
  • Rentner und Arbeitnehmer sollen möglichst von Erklärungspflichten entlastet werden. 
Internationale Steuerpolitik und Regulierung 

An der globalen Mindestbesteuerung (Pillar 2) wird festgehalten. Gleichzeitig werden Arbeiten auf internationaler Ebene für eine dauerhafte Vereinfachung der Mindeststeuer unterstützt. Auf europäischer Ebene sollen keine Benachteiligungen im internationalen Wettbewerb entstehen. 

Auch die Einführung einer Finanztransaktionsteuer auf europäischer Ebene wird weiterhin unterstützt – jedoch ohne Details zur konkreten Ausgestaltung.  

Darüber hinaus sollen unkooperative Staaten konsequent in die „Schwarze Liste“ der EU aufgenommen werden.

Die Koalition plant außerdem eine Ausweitung der Befugnisse zur Telefonüberwachung in Fällen schwerer Steuerhinterziehung. 

Wohnen und Vermietung 

Die Koalition plant steuerliche Förderungen zur Eigentumsbildung („Starthilfe Wohneigentum“) und zum Neubau sowie für genossenschaftliches Wohnen. Die reaktivierte Wohngemeinnützigkeit soll mit Investitionszuschüssen ergänzt werden. 

Darüber hinaus heißt es im Vertrag: „Damit Vermieten wieder attraktiver wird, gilt: Wer günstig vermietet, wird steuerlich belohnt.“ Konkrete Ausgestaltungen bleiben abzuwarten, der Grundsatz könnte jedoch beispielsweise bedeuten, dass steuerliche Entlastungen für Vermietungen unterhalb der ortsüblichen Vergleichsmiete geprüft werden. 

Energie, Landwirtschaft, Umwelt 

Die Strompreis soll um mindestens 5 Cent pro kWh gesenkt werden. Dies soll insbesondere durch eine Senkung der Stromsteuer auf das europäische Mindestniveau und weitere Maßnahmen wie die Reduzierung von Umlagen und Netzentgelten erreicht werden.

In der Landwirtschaft wird die Agrardiesel-Rückvergütung vollständig wiedereingeführt. Geplant ist zudem die Einführung einer steuerlichen Risikoausgleichsrücklage für Land- und Forstwirte. 

Gemeinnützigkeit und Ehrenamt: Vereinfachung und Wertschätzung im Fokus 

Auch für gemeinnützige Organisationen, Vereine und ehrenamtlich Engagierte sieht der Koalitionsvertrag konkrete steuerliche Entlastungen und Vereinfachungen vor: 

  • Die Übungsleiterpauschale nach § 3 Nr. 26 EStG wird von 3.000 auf 3.300 Euro angehoben. 
  • Die Ehrenamtspauschale nach § 3 Nr. 26a EStG steigt von 840 auf 960 Euro. 
  • Der Katalog der gemeinnützigen Zwecke (§ 52 AO) wird modernisiert, um zeitgemäße gesellschaftliche Entwicklungen besser abzubilden. 
  • Die Koalition kündigt eine Vereinfachung des Gemeinnützigkeits-, Vereins- und Zuwendungsrechts an – mit dem Ziel, das zivilgesellschaftliche Engagement rechtlich und administrativ zu entlasten. 
  • Die Freigrenze für steuerpflichtige wirtschaftliche Geschäftsbetriebe wird von 45.000 auf 50.000 Euro erhöht. 
  • Gemeinnützige Organisationen mit Einnahmen bis 100.000 Euro sollen künftig nicht mehr zur zeitnahen Mittelverwendung verpflichtet sein. 
  • Zudem entfällt bei Einnahmen unter 50.000 Euro die Pflicht zur Sphärenrechnung – also zur Aufteilung von Einnahmen aus Zweckbetrieb und wirtschaftlichem Geschäftsbetrieb. 
  • Diese Maßnahmen würden wichtige Impulse für die Arbeit von Ehrenamtlichen und gemeinnützigen Trägern setzen – durch steuerliche Anerkennung, mehr Flexibilität in der Mittelverwendung und den Abbau von bürokratischen Hürden. 
Weitere steuerlich relevante Einzelthemen 
  • Reduzierung der Umsatzsteuer für Speisen in der Gastronomie dauerhaft auf 7 % ab 1. Januar 2026  
  • Die Tabaksteuer soll über 2026 hinaus weiter erhöht werden. 
  • Die letzte Erhöhung der Luftverkehrsteuer soll zurückgenommen werden. 
  • Es wird sich für eine einheitliche Tonnagebesteuerung für die Hochseeschifffahrt in der EU eingesetzt. 
  • Im Kulturbereich sind steuerliche Anreizsysteme für die Filmwirtschaft und Games-Branche vorgesehen. 
  • Im Unterhaltsrecht soll eine Verzahnung mit dem Steuerrecht erfolgen. 
  • Der steuerliche Rechtsrahmen für den Querverbund soll angepasst werden, um den Fortbestand der kommunalen Daseinsvorsorge dauerhaft zu sichern. 
  • Die Mitgliedschaft in Gewerkschaften soll steuerlich attraktiver gestaltet werden. 
  • Mitarbeiterkapitalbeteiligungen sollen durch steuerliche Anreize gefördert werden. 

Fazit: Planungssicherheit mit begrenztem Gestaltungswillen 

Der Koalitionsvertrag enthält eine Vielzahl steuerlich relevanter Maßnahmen, die thematisch breit gestreut sind. Eine tiefgreifende Strukturreform ist nicht vorgesehen. Die geplanten Maßnahmen zielen auf Stabilisierung, Entlastung in definierten Fällen, Investitionsförderung und Verwaltungsmodernisierung. 

Ob die Vorhaben in dieser Form gesetzgeberisch umgesetzt werden, bleibt abzuwarten. Nicht zuletzt, weil sie allesamt unter Finanzierungsvorbehalt stehen. Steuerpflichtige, Unternehmen und Organisationen sollten die Entwicklung aufmerksam verfolgen und frühzeitig potenzielle Auswirkungen auf ihre individuelle Situation prüfen. 

Wir beobachten die Umsetzung des Vertrags genau – und stehen Ihnen für die individuelle Einordnung der Vorhaben und deren steuerliche Relevanz gern zur Verfügung. 

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Autoren dieses Artikels

Richard Markl

Partner

Steuerberater

Eric Werner, LL.M.

Manager

Steuerberater

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