Start-ups: Gericht bestätigt Wirksamkeit einer Vesting-Regelung im Shareholders‘ Agreement

  • 06.12.2024
  • Lesezeit 8 Minuten

Vesting-Klauseln in Gesellschaftervereinbarungen (Shareholders‘ Agreements) von Start-ups waren aufgrund eines sogenannten „Hinauskündigungsverbots“ häufig rechtlich anfechtbar. Das Kammergericht Berlin hat nun aber die Wirksamkeit von Hinauskündigungsklauseln in Shareholders‘ Agreements im Rahmen von Vesting-Regelungen bestätigt.

Um Gründer, Gesellschafter und Mitarbeiter von Start-ups langfristig an das Unternehmen zu binden und deren tatkräftigen Einsatz auf Dauer sicherzustellen, werden in Shareholders‘ Agreements häufig sogenannte Vesting-Regelungen vereinbart. Beim „Vesting“ werden Firmenanteile über einen definierten Zeitraum schrittweise an die berechtigten Personen ausgegeben. Umgekehrt verfällt der Anspruch auf die Anteile im Falle eines frühzeitigen Austritts aus dem Unternehmen.

Vesting-Regelungen waren durch Hinauskündigungsverbot anfechtbar

Vesting-Klauseln stammen ursprünglich aus dem US-Rechtsraum, sind mittlerweile aber auch in Deutschland verbreitet. Sie waren in der Praxis jedoch häufig rechtlich anfechtbar. Denn die deutsche Rechtsprechung ging von einem sogenannten „Hinauskündigungsverbot“ aus, das eine Hinauskündigung von Gesellschaftern an enge Voraussetzungen knüpft.

In einem aktuellen Hinweisbeschluss vom 12. August 2024 bestätigt das Kammergericht Berlin nun jedoch die gesellschaftsrechtliche Wirksamkeit einer sogenannten „Hinauskündigungsklausel“ im Rahmen einer Vesting-Regelung in einem Shareholders‘ Agreement.

Die Entscheidung behandelt wichtige Fragestellungen zum Ausscheiden eines Gesellschafters sowie zur Zulässigkeit von Kaufoptionen nach einem sogenannten „Leaver Event“. Nachfolgend werden der zugrunde liegende Sachverhalt sowie die wesentlichen Aspekte der Entscheidung zusammengefasst.

Streitfall vor dem Kammergericht: Gründertrio trennt sich

Der Kläger war neben den zwei Mitgründern (Beklagte zu 2) und zu 3)) gleichberechtigter Gründungsgesellschafter der Gesellschaft bzw. später gleichberechtigter Gesellschafter der als Holding-Gesellschaft fungierenden ebenfalls beklagten GmbH. Zwischen 2012 und 2017 war der Kläger maßgeblich an der Entwicklung der unternehmensgegenständlichen Software beteiligt. Damit trug er wesentlich dazu bei, dass die Gesellschaft ab 2017 für Investoren zunehmend interessant wurde. Am 12. Oktober 2018 wurde ein Investment and Shareholders' Agreement (im Folgenden: „Investment Agreement“) abgeschlossen, im Rahmen dessen die Investoren insgesamt 1,373 Mio. EUR in die Gesellschaft gegen Übernahme von Geschäftsanteilen investierten.

Gründer beschlossen dreijährigen Vesting-Zeitraum

Im Rahmen des Investment Agreements unterwarfen sich die Gründer auf der Ebene der Gesellschaft einem Vesting und verpflichteten sich zugleich, innerhalb eines Monats nach der Unterzeichnung des Investment Agreements untereinander auf der Ebene der beklagten GmbH eine entsprechende Ausscheidensbestimmung zu treffen. Diese wurde mit dem Abschluss des Shareholders‘ Agreements umgesetzt. Es wurde ein Vesting-Zeitraum von insgesamt drei Jahren vereinbart, wobei ein Gründer, der innerhalb des ersten Jahres nach Beginn des Vesting-Zeitraums aus dem Unternehmen ausscheidet, seine Geschäftsanteile vollständig verlieren sollte.

Einvernehmliches Ausscheiden scheiterte, Kläger widersprach Vorgehen der Mitgründer

Der Kläger wurde am 23. November 2018 freigestellt und war seitdem nicht mehr für die Gesellschaft tätig. Verhandlungen über ein einvernehmliches Ausscheiden scheiterten und so wurde mit Schreiben vom 23. Juli 2019 der Arbeitsvertrag des Klägers mit der Gesellschaft ordentlich zum 31. August 2019 gekündigt. 

Am 6. September 2019 übten die beiden Mitgründer die ihnen in Folge der Beendigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers mit der Gesellschaft zustehende Kaufoption aus dem Shareholders‘ Agreement durch notariell beurkundete Annahmeerklärungen aus und zahlten den aus ihrer Sicht geschuldeten Kaufpreis für die Geschäftsanteile an den Kläger. Letzterer widersprach diesem Vorgehen jedoch.

Die Entscheidung des Kammergerichts Berlin im Detail

Sachliche Rechtfertigung der Hinauskündigungsmöglichkeit

Im Kern der Entscheidung ging es um die Frage, ob eine sogenannte „Hinauskündigungsklausel“, die einem Gesellschafter, einer Gruppe von Gesellschaftern oder der Gesellschafter-Mehrheit das Recht einräumt, einen Mitgesellschafter ohne sachlichen Grund aus der Gesellschaft auszuschließen, als (ausnahmsweise) sachlich gerechtfertigt und wirksam angesehen werden kann.

Grundsätzlich hält die höchstrichterliche Rechtsprechung Hinauskündigungsklauseln nach § 138 Abs.1 BGB für nichtig, wenn hierfür kein sachlicher Grund angeboten wird. Zu den verschiedenen bereits anerkannten Fallgestaltungen tritt nun eine weitere Möglichkeit für die Annahme der sachlichen Rechtfertigung einer Hinauskündigungsklausel. 

Im vorliegenden Fall wurde die sachliche Rechtfertigung und Wirksamkeit der Vesting-Regelung bejaht. Wenn Risikokapitalgeber – wie hier – in ein Start-up investieren, sind sie regelmäßig darauf angewiesen, dass sich die Gründer mit ihrem Know-how voll in das Unternehmen einbringen. In dieser für die weitere Entwicklung des Unternehmens häufig entscheidenden Phase kann es – zeitlich befristet – sachlich gerechtfertigt sein, den Fortbestand der Gesellschafterstellung der Gründer mit ihrem weiteren Einsatz für das Unternehmen zu verknüpfen. Umgekehrt kann es sachlich gerechtfertigt sein, Gründer, die – aus welchen Gründen auch immer – in dieser Phase aus dem Unternehmen ausscheiden, nicht mehr am weiteren Erfolg des Unternehmens zu beteiligen.

Keine Unwirksamkeit bei unangemessener Abfindung

Es wurde klargestellt, dass eine Vesting-Regelung auch nicht deshalb als sachlich nicht gerechtfertigt anzusehen ist, weil die vereinbarte Abfindung gegebenenfalls unangemessen niedrig ist. Vielmehr soll lediglich an die Stelle der vereinbarten Abfindung eine angemessene Abfindung treten.

Kein Verstoß gegen Gleichbehandlungsgrundsatz

Es wurde kein Verstoß gegen den gesellschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz festgestellt, weil sich nur die Gründer und nicht auch die übrigen Gesellschafter einer solchen Vesting-Regelung unterworfen haben.

Der sachliche Grund für diese Ungleich-behandlung liegt in den unterschiedlichen Beiträgen der Gründer und der Investoren zum Unternehmenserfolg. Während sich der Beitrag der Investoren im Wesentlichen auf die Leistung des von ihnen zugesagten finanziellen Beitrags beschränkt, sollen die Gründer zum künftigen Erfolg des Unternehmens vor allem durch ihre (weitere) persönliche Tätigkeit und ihr Engagement beitragen.

Einjährige Bindung an das Unternehmen war zulässig

Es wurde auch nicht als unbillig erachtet, wenn ein Gründer, der im ersten Jahr des insgesamt dreijährigen Vesting-Zeitraums aus dem Unternehmen ausscheidet, nach der Vesting-Regelung sämtliche Geschäftsanteile verliert. Dies gilt nicht nur bei einem sog. „Bad Leaver Event“, sondern auch, wenn – wie hier – der Arbeitsvertrag des Gründers ordentlich gekündigt wurde.

Vielmehr erscheint es angemessen, den Verbleib eines Gründers als Gesellschafter davon abhängig zu machen, dass er zumindest ein (weiteres) Jahr lang für das Unternehmen tätig bzw. mit ihm vertraglich verbunden ist und sich dadurch seinen Verbleib als Gesellschafter „verdient“.

Vereinbarkeit von Vesting-Regelung und Einziehungs-Klausel war gegeben

Der Vesting-Regelung steht auch nicht entgegen, dass im Gesellschaftsvertrag der Beklagten GmbH geregelt ist, dass die Einziehung eines Gesellschaftsanteils nur mit Zustimmung des betroffenen Gesellschafters bzw. aus wichtigem Grund gegen Zahlung einer Abfindung in Höhe von 100 Prozent des Verkehrswerts des Geschäftsanteils möglich ist.

Vielmehr können beide Regelungen grundsätzlich nebeneinander bestehen, da sich die Gründer im Rahmen der Finanzierungsrunde gegenüber den Investoren einem Vesting unterworfen haben, das unter anderen Voraussetzungen greift und das nach Ablauf des ersten Jahres der Vesting-Periode auch nicht mehr zum vollständigen Ausschluss des betroffenen Gründers führt.

Ausschluss hielt einer Ausübungskontrolle stand

Die Ausschließung des Klägers aus der beklagten GmbH hält schließlich auch einer Ausübungskontrolle stand, so dass anzunehmen ist, dass die Beklagten die ihnen in Folge der Beendigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers mit der Gesellschaft zustehende Kaufoption nicht treuwidrig (§ 242 BGB) ausgeübt haben.

Der zeitliche Ablauf im Oktober/November 2018 und insbesondere der enge zeitliche Zusammenhang zwischen der Nachgenehmigung des Shareholders’ Agreement durch den Kläger am 21. November 2018 und seiner Freistellung am 23. November 2018 rechtfertigt nicht die Annahme einer treuwidrigen Absicht der Beklagten. Vielmehr haben sich die Gründer bereits im Investment Agreement vom 12. Oktober 2018 einer praktisch inhaltsgleichen Vesting-Regelung unterworfen, die sodann im Shareholders‘ Agreement vom 19. November 2018 lediglich technisch umgesetzt wurde.

Außerdem akzeptierte der Kläger seine Freistellung – ebenso wie die spätere ordentliche Kündigung – faktisch und verhandelte über die Bedingungen seines Ausscheidens. Dass der Beklagte zu 2) in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer der Gesellschaft im Juli 2019 den Arbeitsvertrag des (seit Monaten freigestellten) Klägers zum 31. August 2019 ordentlich gekündigt und dadurch auf Ebene der Beklagten zu 1) einen Ausschluss des Klägers als Gesellschafter noch vor Ablauf des ersten Jahres des Vesting-Zeitraums ermöglicht hat, ist insoweit nicht als treuwidrig anzusehen. 

Form- und fristgerechte Ausübung der Kaufoption war gegeben

Durch die notariell beurkundeten Annahmeerklärungen der Beklagten zu 2) und zu 3) vom 6. September 2019 kam ein Kaufvertrag über die Gesellschaftsanteile des Klägers an der beklagten GmbH zustande, sodass die Kaufoption gemäß den Vorgaben des Shareholders' Agreement form- und fristgerecht ausgeübt wurde.

Folgen für die Praxis: Gründer können durch Vesting-Regelungen gebunden werden

Das Kammergericht Berlin bestätigt die gesellschaftsrechtliche Wirksamkeit von sog. „Hinauskündigungsklauseln“ im Rahmen von Vesting-Regelungen in Start-ups. Dies gilt insbesondere in Phasen, in denen Risikokapitalgeber investiert sind und ihrerseits darauf angewiesen sind, dass sich die Gründer weiterhin voll mit ihrem Know-how in das Unternehmen einbringen und es zum allseits erhofften Erfolg führen.

Die Entscheidung hat praktische Bedeutung für Start-ups und Investoren, da sie zeigt, dass Gründer durch eine befristete Vesting-Regelung an ihre weitere Tätigkeit für das Unternehmen gebunden werden können. Diese Regelungen bieten nicht nur Schutz für die Investoren, sondern ermöglichen es auch, das Unternehmen stabil und langfristig zu entwickeln.

Wenn Sie Fragen zu den Themen Vesting-Regelungen, Kaufoptionen oder zur Gestaltung von Investment and Shareholders‘ Agreements haben, stehen wir Ihnen jederzeit gerne für eine rechtliche Beratung zur Verfügung.

Artikel teilen:

Autoren dieses Artikels

Benedikt Hoffmann

Director

Steuerberater, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht

Daniela Stephan, LL.M.

Senior Manager

Rechtsanwältin

Was können wir für Sie tun?

Jetzt Kontakt aufnehmen

Kontakt aufnehmen