Energiestudie: Unsicherheit bremst Investitionen von Industrie und Versorgern in Deutschland

Bild: ein Strommast in einer nächtlichen Landschaft mit leuchtenden, blauen Energielinien
  • 20.02.2025
  • Lesezeit 4 Minuten

Eine Erhebung zur Energiewende von Baker Tilly zeigt eine hohe Verunsicherung unter Entscheidern aus Industrie und Energiewirtschaft. Die Führungskräfte erwarten vor allem klare Zielbilder und verlässliche Pfade.

 

Düsseldorf, 20. Februar 2025 – Die Unsicherheit bei der Energiewende bremst die Investitionstätigkeit bei Industrie und Energieversorgern (EVU). Top-Entscheider beider Sektoren fordern einen klaren Kurs. Das zeigt die Studie „Energy Outlook 2025: Erfolgsfaktoren für die Energiewende“ der internationalen Beratungs- und Prüfungsgesellschaft Baker Tilly. Danach geben jeweils knapp 40 Prozent der befragten Unternehmen beider Sektoren an, dass sie sich bei Investitionen zurückhalten (Industrie:  39 Prozent / EVU: 38 Prozent). Als wichtigsten Grund dafür nennen sowohl die Industrie als auch die Versorger die Unsicherheit über Technologien, die zukünftig im Energiesektor zum Einsatz kommen. Die Unsicherheit über die künftige Gesetzeslage gilt als zweitgrößtes Hemmnis. „Die Zurückhaltung eines beträchtlichen Teils der Unternehmen führt zu einem Investitionsstau“, sagt Hartmut Müller, Energieexperte und Partner bei Baker Tilly. „Es wird Jahre dauern, diesen wieder aufzulösen.“ 

Ohnehin erfordert die Energiewende in vielen Betrieben einen gesteigerten finanziellen Einsatz. So stimmen 78 Prozent der Industrieunternehmen und 82 Prozent der Energieversorger der Aussage zu, dass die Energiewende den betrieblichen Investitions- und Finanzierungsbedarf erhöht hat. Der Bruch der Ampel-Koalition im November hat laut Auskunft der Befragten ihre abwartende Haltung verstärkt. 86 Prozent der Industriebetriebe und 54 Prozent der Netzbetreiber geben an, das Ampel-Aus habe bei ihnen zu Verunsicherung hinsichtlich zukünftiger Gesetzgebungen und möglicher Investitionen geführt. 

Industrie und Versorger bewerten Herausforderungen unterschiedlich

Jedes dritte Unternehmen der energieintensiven Industrie sieht negative Folgen für das eigene Unternehmen. Trotz aller Unsicherheiten und dem damit einhergehenden Investitionsstau stehen Industrie und Energieversorger dem eingeschlagenen Dekarbonisierungspfad grundsätzlich positiv gegenüber (EVU: 93 Prozent / Industrie: 62 Prozent), wenngleich eine Mehrheit die Verschiebung der Klimaziele auf 2050 unterstützt (65 Prozent). 63 Prozent der Industrieunternehmen und 75 Prozent der Versorger sehen im Netzausbau die höchste Priorität. 

„Es zeigt sich eine Diskrepanz: Während die Industrie unter hohem Veränderungsdruck steht, sehen sich die Energieversorger gut aufgestellt“, sagt Müller. Investitionen erleichtern würden aus Sicht der Energiewirtschaft besonders ein Anheben der regulatorischen Verzinsung und der Ausbau von Förderverfahren (je 70 Prozent Zustimmung), gefolgt vom Bürokratieabbau bei Ausschreibungs- und Genehmigungsverfahren. 

78 Prozent der Industrieunternehmen wünschen sich bei der Energiewende langfristige Zielvorgaben, um Investitionen zu erleichtern. Bei Versorgern stimmen diesem Punkt sogar 85 Prozent zu. „Die Industrie wird erst dann Investitionen ausweiten können, wenn klare Zielbilder sowie verlässliche und vor allem bezahlbare Pfade für die Transformation des Energiesektors geschaffen worden sind“, sagt Müller. „Verlagerungen von Produktionskapazitäten ins Ausland könnten die Folge sein.“ Dies können sich 73 Prozent der Industriebetriebe vorstellen, zumal andere Länder mit besseren Standortbedingungen wie geringeren Energiekosten, Steuern und Regularien locken.

Technologieoffenheit, Flexibilität und Innovationsfreiheit

Die wichtigste Forderung mit Blick auf einen Verbleib am Standort Deutschland sind günstige Energiekosten – dafür sprechen sich 45 Prozent der Industrie-Entscheider aus. Dabei hält es nur eine Minderheit für sinnvoll, einzelne Technologien zu bevorzugen. 79 Prozent der Industriefirmen und 85 Prozent der Versorger sprechen sich für Technologieoffenheit aus. „Es zeigt sich eine klare Präferenz beider Gruppen für eine zukünftige Energiestrategie, die flexibel bleibt und eine breite Palette von Technologien fördert“, sagt Müller. „Dies spiegelt den Wunsch nach Innovationsfreiheit und der Anpassungsfähigkeit an unterschiedliche zukünftige Anforderungen wider. Das „Wie“ steht nicht im Vordergrund. Es muss vor allem bezahlbar sein und die Wirtschaft unterstützen.“ So gelten Solarenergie und Wasserstoff zwar in beiden Gruppen als zentrale Zukunftstechnologien, aber auch eine zumindest übergangsweise Rückkehr zur Kernenergie findet Zuspruch (Industrie: 53 Prozent / EVU: 75 Prozent). Denn aktuell gehen EVU und Industrie mehrheitlich davon aus, dass die Vorteile der Energiewende durch die dafür notwendigen Aufwendungen überkompensiert werden.

Die Verantwortung für die Energiewende sehen die Industrieunternehmen bevorzugt bei der Europäischen Union verortet. Knapp zwei Drittel (65 Prozent) sprechen sich für den Aufbau einer europäischen Energieunion aus. Diese Idee unterstützt auch eine deutliche Mehrheit der Versorger – rund drei Viertel (73 Prozent) von ihnen befürworten eine europäische Lösung. „Es gibt einen gemeinsamen Wunsch nach europaweit eindeutigen Zielbildern“, betont Müller. Subventionen für erneuerbare Energien erachten 78 Prozent der Versorger als sinnvolle Maßnahme. „Von der Industrie werden Subventionen aufgrund kurzfristiger Effekte kritischer gesehen. Industrie-Entscheider erwarten eine ganzheitliche Strukturreform in Form von langfristigen Förderprogrammen mit stabilen Rahmenbedingungen“, sagt Müller.     

Über die Studie

Baker Tilly hat im Dezember 2024 200 Top-Entscheider deutscher Energieversorger und Netzbetreiber sowie Industrieunternehmen aus energieintensiven Branchen, darunter Metall, Chemie, OEM und Pharma, zur Wettbewerbsfähigkeit und den Zukunftserwartungen an die Energiewende am Standort Deutschland befragt. 
 

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