Haften Geschäftsführer für Kartellbußgelder? BGH ruft EuGH an

Foto: Ein Stahlarbeiter in feuerfester Kleidung steht in einem Stahlwerk. Er arbeitet an einem Bottich mit flüssigem Stahl, der gerade in einer Gießerei ausgekippt wird.
Im Verfahren vor dem BGH geht es um Schadenersatzansprüche gegen einen Geschäftsführer, der sich am sogenannten „Stahlkartell“ beteiligt hatte.
  • 14.02.2025
  • Lesezeit 4 Minuten

Kann ein Unternehmen, gegen das aufgrund eines Kartellverstoßes ein Bußgeld verhängt worden ist, die verantwortliche Geschäftsleitung in Regress nehmen? Der Kartellsenat des BGH hat diese Frage nun dem EuGH vorgelegt.

In dem aktuellen Verfahren vor dem Bundesgerichtshof (BGH) geht es um Schadensersatzansprüche zweier konzernverbundener Unternehmen (eine GmbH und eine AG) gegen deren ehemaligen Geschäftsführer bzw. Vorstandsmitglied. Nach den Feststellungen des Bundeskartellamts beteiligte sich der Beklagte in beiden Funktionen von 2002 bis 2015 an einem Kartell in der Stahlindustrie, bei dem es unter anderem zu Preisabsprachen kam.

Vorinstanzen geben Unternehmen teilweise Recht

Aufgrund dieses kartellrechtswidrigen Verhaltens verhängte das Bundeskartellamt ein Bußgeld in Höhe von 4,1 Millionen Euro gegen die GmbH. Die GmbH verlangt dieses Bußgeld nun als Schadensersatz von ihrem ehemaligen Geschäftsführer zurück. Die AG verlangt hingegen die entstandenen Aufklärungs- und Rechtsanwaltskosten, die durch das kartellrechtliche Ermittlungsverfahren und die Abwehr des Bußgelds entstanden sind, vom Beklagten als Schadensersatz. Beide Unternehmen begehren darüber hinaus die gerichtliche Feststellung, dass der Beklagte die aus dem Kartellverstoß resultierenden Folgeschäden zu ersetzen hat.

In den Vorinstanzen wurde den Unternehmen nur teilweise Recht gegeben. So hatten sowohl das LG Düsseldorf (Urt. v. 10. Dezember 2021, Az. 37 O 66/20) als auch das OLG Düsseldorf (Urt. v. 27. Juli 2023, Az. VI-6 U 1/22) entschieden, dass der Beklagte gegenüber den Unternehmen nicht für Bußgelder des Bundeskartellamts haftet.

Nach Auffassung der Vorinstanzen würde andernfalls der Zweck von Kartellbußgeldern gegenüber Unternehmen verfehlt. Das verhängte Kartellbußgeld ziele darauf ab, gerade das Vermögen der bebußten Unternehmen zu treffen. Auch die Anwalts- und Ermittlungskosten seien nicht ersatzfähig. Für den Ersatz weiterer aus dem Kartellverstoß resultierender Schäden, insbesondere auch Kosten durch Schadensersatzklagen, hafte der Beklagte aber.

Anrufung des EuGH: Steht EU-Recht nationalen Regelungen entgegen?

Der BGH führte aus, dass Geschäftsführer und Vorstandsmitglieder, die ihre Obliegenheiten verletzen, der Gesellschaft gegenüber für den entstandenen Schaden haften. Nach der vorläufigen Einschätzung des BGH missbilligt die nationale Rechtsordnung einen Regress von Bußgeldern bei der verantwortlichen Geschäftsleitung im Grundsatz nicht. Allerdings könnte das unionsrechtliche Effektivitätsprinzip (effet utile) es gebieten, den Regress von Gesellschaften gegen ihre Geschäftsleiter zu verbieten.

Zwar fällt die nähere Ausgestaltung von Kartellbußgeldern in die Kompetenz der Mitgliedstaaten. Allerdings haben die Mitgliedstaaten nach der Rechtsprechung des EuGH sicherzustellen, dass die nationalen Wettbewerbsbehörden wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Geldbußen gegen Unternehmen verhängen können, wenn diese vorsätzlich oder fahrlässig gegen das europäische Kartellverbot in Artikel 101 Abs. 1 AEUV verstoßen.

Daher legte der BGH dem EuGH die Frage vor, ob Art. 101 Absatz 1 AEUV einer nationalen Regelung zur Geschäftsführerhaftung bei Kartellrechtsverstößen entgegensteht (Beschl. v. 11. Februar 2025, Az. KZR 74/23).

Bedeutung für Unternehmen und Geschäftsleiter

Die Frage der Haftung von Geschäftsleitern für gegen Unternehmen verhängte Kartellbußgelder ist seit langem ungeklärt. Eine Klärung durch eine Entscheidung des EuGH wird voraussichtlich auf sich warten lassen. Doch sowohl für Unternehmen als auch Geschäftsführer ist diese Frage von enormer Bedeutung. Sollte der EuGH zu dem Ergebnis gelangen, dass Europarecht einer Haftung von Geschäftsleitern für Kartellbußgelder nicht entgegensteht, drohen verantwortlichen Geschäftsleitern existenzielle Risiken. 

Unabhängig hiervor droht verantwortlichen Geschäftsleitern nach der vorläufigen Einschätzung des BGH bei Verstößen gegen das deutsche Kartellverbot eine Haftung für Kartellbußgelder. An der Notwendigkeit intensiver und wirksamer Compliance-Maßnahmen, um mögliche Pflichtverletzungen bereits von vornherein zu verhindern und damit Kartellbußgelder zu vermeiden, wird eine mögliche Entscheidung des EuGH nichts ändern.
 

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Autoren dieses Artikels

Dr. Stefan Meßmer

Partner

Rechtsanwalt

Christoph Reinhardt

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