Europäisches Beihilferecht in der kommunalen Praxis

  • 07.10.2024
  • Lesezeit 6 Minuten

So agieren Kommunen rechtssicher und beihilfekonform 

Mit dem europäischen Beihilferecht soll als Bestandteil des europäischen Wettbewerbsrechts der Binnenmarkt vor wettbewerbsverzerrenden Subventionen der öffentlichen Hand geschützt werden. Im Grundsatz ist das EU-Beihilferecht sehr streng:  Zuwendungen aus öffentlichen Haushalten zur Begünstigung einzelner Unternehmen, die den Wettbewerb verfälschen können, sind grundsätzlich verboten. Dies gilt auch für Zuschüsse und Ausgleichszahlungen, mit denen Kommunen die regelmäßig defizitäre Daseinsvorsorge vor Ort unterstützen möchten. Ohne eine tiefergehende Befassung mit dem anspruchsvollen Beihilferecht können diese nicht rechtssicher geleistet werden. Dann eröffnen sich allerdings vielfache Möglichkeiten, die gewünschten Ziele beihilfekonform zu erreichen.

Grundsätzliches Beihilfeverbot des Art. 107 AEUV

Maßstab für die Beurteilung der Frage nach dem Vorliegen einer Beihilfe ist Art. 107 Abs. 1 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV): „Soweit in den Verträgen nicht etwas anderes bestimmt ist, sind staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher Art, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, mit dem Binnenmarkt unvereinbar, soweit sie den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen.“
    
Der Beihilfetatbestand des Art. 107 Abs. 1 AEUV und hier insbesondere die Begriffe der „Beihilfe“ und des „Unternehmens“ sind bewusst weit gefasst. Im Ergebnis unterfallen ihnen die meisten staatlichen Eingriffe in das Gefüge des Marktes. So gelten beispielsweise auch Kapitalleistungen einer Kommune, die als Gebietskörperschaft dem staatlichen Handlungsgefüge angehört, an eigene Gesellschaften als „staatliche Mittel“ im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV; auf die konkrete Form der Übertragung der Mittel – ob als direkter Zuschuss, als Darlehen, Garantie, Sachleistung oder als Beteiligung am Kapital eines Unternehmens – kommt es nicht an. 

„Begünstigung“ im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV ist im Grundsatz jeder wirtschaftliche Vorteil, den das betreffende Unternehmen, beispielsweise eine Stadtwerke GmbH, unter normalen Marktbedingungen, also ohne ein Eingreifen des Staates, nicht erhalten würde.

Tritt der Staat gegenüber einem begünstigten Unternehmen nicht als (subventionsgewährender) Hoheitsträger auf, sondern als kommunaler Eigentümer des Unternehmens und damit im Grunde wie ein privater Investor, unterliegt er gleichwohl dem Beihilferecht. Ob dann eine in diesem Zusammenhang beabsichtigte wirtschaftliche Transaktion eine Begünstigung im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV darstellt, hängt davon ab, ob sie normalen Marktbedingungen entspricht, oder ob dies nicht der Fall ist und so dem betreffenden Unternehmen ein (finanzieller) Vorteil verschafft wird. Geht es dabei wie häufig um Kapitalzuführungen, so ist auf den marktwirtschaftlich handelnden Kapitalgeber abzustellen und zu ermitteln, ob ein unter normalen Marktbedingungen handelnder privater Kapitalgeber von vergleichbarer Größe in ähnlicher Lage zu der fraglichen Investition hätte bewegt werden können; Ausgangspunkt für diese Beurteilung sind die mit der Kapitalinvestition verbundenen Renditeerwartungen (sog. Private Investor Test, PIT).

Staatliche Förderungen für Unternehmen stellen zuletzt nur dann staatliche Beihilfen im Sinne des Artikels 107 Abs. 1 AEUV dar, wenn sie „durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen“, und nur „soweit sie den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen“. Dabei handelt es sich um zwei getrennte Voraussetzungen, die beide erfüllt sein müssen, damit eine staatliche Beihilfe vorliegt. In der Praxis der EU-Kommission und des Europäischen Gerichtshofs werden diese Elemente im Rahmen der beihilferechtlichen Würdigung jedoch häufig gemeinsam geprüft und generell als untrennbar miteinander verbunden betrachtet. Nicht zuletzt dieses Vorgehen birgt die Gefahr einer (zu) weiten und undifferenzierten Betrachtung beider Tatbestandsmerkmale und ihrer entsprechenden Auslegung.  Vor diesem Hintergrund geht die EU-Kommission im Allgemeinen von einer Wettbewerbsverfälschung im Sinne des Artikels 107 Absatz 1 AEUV aus, sobald ein Staat einem Unternehmen, das in einem liberalisierten Wirtschaftszweig, in dem Wettbewerb herrscht oder herrschen könnte, einnahmeschaffende Tätigkeiten ausübt, einen finanziellen Vorteil gewährt.  

Eine wesentliche Ausnahme von diesem Grundsatz macht die EU-Kommission unter bestimmten, engen Bedingungen dann, wenn eine konkrete, im Interesse des Allgemeinwohls liegende Infrastrukturaufgabe wie etwa die Wasserversorgung in rechtlich zulässiger Weise als Monopol ausgestaltet ist. 

Eine weitere praxisrelevante Ausnahme macht die Kommission dann, wenn bestimmte Tätigkeiten, die die Kommune finanziell unterstützen möchte, rein lokale Auswirkungen haben und den Handel zwischen den Mitgliedstaaten nicht beeinträchtigen. Hier ist genau zu prüfen, ob der Beihilfeempfänger Güter bzw. Dienstleistungen nur in einem geografisch begrenzten Gebiet in einem einzigen Mitgliedstaat anbietet und wahrscheinlich keine Kunden aus anderen Mitgliedstaaten anzieht und ob davon ausgegangen werden kann, dass die Maßnahme allenfalls marginale Auswirkungen auf die Bedingungen für grenzübergreifende Investitionen oder die grenzübergreifende Niederlassung haben wird. 

Nicht zuletzt mit Blick auf die jederzeitige Kontrollmöglichkeit der EU-Kommission auch bei als beihilfekonform eingestuften Zuwendungen empfiehlt es sich, in die rechtliche Betrachtung dieser Gestaltungen insbesondere die Auslegungs- und Vollzugshinweise zum europäischen Beihilferecht und in diesem Zusammenhang ergangene (Genehmigungs-) Entscheidungen der EU-Kommission einzubeziehen. 

Erlaubnistatbestände beachten

Von dem Verbotstatbestand des Art. 107 Abs. 1 Hs. 2 AEUV erfasste Beihilfen sind bei der EU-Kommission anzumelden und können von dieser genehmigt werden. Bis dahin dürfen sie nicht durchgeführt werden. Dies gilt allerdings nur, soweit nicht der Erlaubnistatbestand gemäß Art. 107 Abs. 1 Hs. 1 AEUV eingreift, d.h. in den Verträgen nicht „etwas anderes“ bestimmt ist.

Anderweitige Bestimmungen im vorstehenden Sinne sind z.B. die:

  • „Mitteilung der Kommission über die Anwendung der Artikel 87 und 88 des EG-Vertrags auf staatliche Beihilfen in Form von Haftungsverpflichtungen und Bürgschaften (2008/C 155/02)“ (Bürgschaftsmitteilung);
  • „Verordnung (EU) Nr. 651/2014 der Kommission vom 17.06.2014 zur Feststellung der Vereinbarkeit bestimmter Gruppen von Beihilfen mit dem Binnenmarkt in Anwendung der Art. 107 und 108 des AEUV“ (AGVO); 
  • „Beschluss der Kommission vom 20.12.2011 über die Anwendung von Art. 106 Abs. 2 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf staatliche Beihilfen in Form von Ausgleichsleistungen zugunsten bestimmter Unternehmen, die mit der Erbringung von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut sind“ (Freistellungsbeschluss);
  • „Verordnung (EU) Nr. 1407/2013 der Kommission vom 18.12.2013 über die Anwendung der Artikel 107 und 108 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf De-minimis-Beihilfen“ (De-minimis-Verordnung). 

Unter diese verschiedenen Ausnahmetatbestände fallen die zahlenmäßig meisten staatlichen Beihilfen.  Ihre unterschiedlichen Anwendungsbereiche und im Einzelnen stark differenzierten Tatbestandsvoraussetzungen erfordern eine genaue Prüfung, ermöglichen dann aber regelmäßig praxisnahe Lösungen, beispielsweise für Fälle von geringer finanzieller Bedeutung oder für Maßnahmen zugunsten der kommunalen Daseinsvorsorge. 

Vielen Dank an Dr. Peter Czermak für seine wertvolle Unterstützung beim Verfassen dieses Beitrages.

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Autor dieses Artikels

Dr. Christian Teuber

Partner

Rechtsanwalt, Fachanwalt für Vergaberecht

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