Vergaberecht: Wann Ausnahmen vom Produktneutralitätsgebot möglich sind

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  • 13.12.2024
  • Lesezeit 7 Minuten

Darf ein öffentlicher Auftraggeber bei der Beschaffung von Hard- und Software auf ein bestimmtes Produkt bestehen? Das OLG Düsseldorf erleichtert dies unter klaren Bedingungen: Objektive, sachliche und nachvollziehbare Gründe sind ausschlaggebend. Eine aktuelle Entscheidung bringt Klarheit.

Nutzt ein öffentlicher Auftraggeber bereits seit längerem bestimmte Hard- und Software-Produkte, sind die betroffenen Verfahrensabläufe darauf eingestellt. Die Mitarbeiter sind im Umgang mit dem Produkt geschult. Hat es sich grundsätzlich bewährt, ist es häufig Wunsch des Auftraggebers, bei einer erforderlichen Anschluss- oder Ergänzungsbeschaffung das erfolgreich eingeführte Produkt nicht wechseln zu müssen. 

Der nachfolgende Beitrag stellt in der gebotenen Kürze eine aktuelle Entscheidung des OLG Düsseldorf vor. Diese sorgt für mehr Klarheit auf diesem praxisrelevanten Beschaffungsfeld.

Privatautonomie versus Gebot der Produktneutralität

Möchte ein öffentlicher Auftraggeber einen von ihm angenommenen Bedarf durch ein bestimmtes Produkt eines konkreten Herstellers decken, stehen sein Beschaffungswunsch und die allgemeinen Wettbewerbsgrundsätze des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) in einem Spannungsverhältnis. 

Einerseits ist im Ausgangspunkt entsprechend dem Grundsatz der Privatautonomie auch ein öffentlicher Auftraggeber frei zu bestimmen, was er zur Erfüllung seiner Aufgaben benötigt. Seine Entscheidung darüber, ob und gegebenenfalls, was er beschaffen möchte, wird von zahlreichen Faktoren beeinflusst, unter anderem von technischen, wirtschaftlichen, gestalterischen oder solchen der sozialen, ökologischen oder ökonomischen Nachhaltigkeit.

Die Wahl unterliegt der Bestimmungsfreiheit des Auftraggebers, deren Ausübung dem Vergabeverfahren vorgelagert ist. Das Vergaberecht regelt nicht, was der öffentliche Auftraggeber beschafft, sondern nur die Art und Weise der Beschaffung, also das Verfahren der Beschaffung (siehe beispielsweise OLG Celle, Beschluss vom 31.03.2020, 13 Verg 13/19, juris Rn. 39).
 
Andererseits ist der vorgängigen Festlegung eines bestimmten Beschaffungsgegenstandes eine gewisse wettbewerbsbeschränkende Wirkung immanent, da die Entscheidung „für“ etwas gleichzeitig die Entscheidung „gegen“ etwas anderes beinhaltet, das vielleicht auch möglich gewesen wäre, um den zugrundeliegenden Bedarf zu decken.

Vergaberecht auf Unions- und nationaler Ebene setzt dem Bestimmungsrecht des Austraggebers Grenzen

Europäisches und deutsches Vergaberecht setzen deshalb im Interesse der angestrebten Öffnung des Beschaffungswesens für den Wettbewerb, aber auch der effektiven Durchsetzung der Warenverkehrsfreiheit dem Bestimmungsrecht des Auftraggebers mit dem Gebot der produktneutralen Ausschreibung als konkreter Ausformung des allgemeinen Wettbewerbsgrundsatzes des § 97 Abs. 1 GWB Grenzen (vgl. VK Bund, Beschluss vom 09.05.2014, VK 2-33/14).

Der öffentliche Auftraggeber hat danach nach § 31 Abs. 1 der Vergabeverordnung (VgV) im Rahmen des Beschaffungsverfahrens die Leistungsbeschreibung in einer Weise zu fassen, „dass sie allen Unternehmen den gleichen Zugang zum Vergabeverfahren gewährt und die Öffnung des nationalen Beschaffungsmarkts für den Wettbewerb nicht in ungerechtfertigter Weise behindert“. 

Ergänzend bestimmt § 31 Abs. 6 Satz 1 VgV, dass in der Leistungsbeschreibung „nicht auf eine bestimmte Produktion oder Herkunft oder ein besonderes Verfahren, das die Erzeugnisse oder Dienstleistungen eines bestimmten Unternehmens kennzeichnet, oder auf gewerbliche Schutzrechte, Typen oder einen bestimmten Ursprung verwiesen werden darf, wenn dadurch bestimmte Unternehmen oder bestimmte Produkte begünstigt oder ausgeschlossen werden, es sei denn, dieser Verweis ist durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigt“.

Vergabeverordnung: Leistungsbeschreibung darf bestimmte Unternehmen und Produkte nicht begünstigen oder ausschließen

§ 31 VgV enthält damit zum einen das Gebot, die Leistungsbeschreibung so zu fassen, dass allen Marktteilnehmern in gleicher Weise Zugang zum Vergabeverfahren gewährt wird. Zum anderen beinhaltet er das Verbot, eine Ausschreibung auf ein bestimmtes (einziges) Produkt hinzukonzipieren. Denn darin liegt eine Einschränkung sowohl des grundsätzlich gebotenen Wettbewerbs als auch der zu erwartenden Angebotsvielfalt und damit oftmals auch der Wirtschaftlichkeit der Beschaffung. 

Eine produkt- bzw. herstellerspezifische Ausschreibung ist deshalb nach der Rechtsprechung nur dann (ausnahmsweise) gerechtfertigt, wenn vom Auftraggeber nachvollziehbare objektive und auftragsbezogene Gründe angegeben worden sind und die Bestimmung folglich willkürfrei getroffen worden ist, solche Gründe tatsächlich vorhanden (festzustellen und notfalls erwiesen) sind und die Bestimmung andere Wirtschaftsteilnehmer nicht diskriminiert (OLG Brandenburg, Beschluss vom 08.07.2021, 19 Verg 2/21; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16.10.2019, Verg 66/18; OLG München, Beschluss vom 26.03.2020, Verg 22/19; OLG Jena, Beschluss vom 25.06.2014, 2 Verg 1/14).

Rechtsprechung: OLG Düsseldorf billigt produktspezifische Ausschreibung von Hard- und Software

In einer noch unveröffentlichten Entscheidung vom 10. Juli 2024 (VII-Verg 2/24) hat sich das OLG Düsseldorf ausführlich zu den Anforderungen an eine zulässige Abweichung vom Gebot der produktneutralen Ausschreibung bei der Beschaffung von Hard- und Software (interaktive Displays für Schulen) geäußert. Es hat im entschiedenen Fall die produktspezifische Ausschreibung von Hard- und Software gebilligt und damit seine bisherige Rechtsprechung, die für die Belange des öffentlichen Auftraggebers in diesem Zusammenhang ein grundsätzliches Verständnis aufbringt, bestätigt.

Das Gericht betont einleitend, dass „dem öffentlichen Auftraggeber bei der Einschätzung, ob die Vorgabe eines bestimmten Herstellers gerechtfertigt ist, ein Beurteilungsspielraum zusteht“. Ob sich der Auftraggeber bei seiner Beschaffungsentscheidung innerhalb der rechtlichen Grenzen dieses Spielraums gehalten hat, ist allerdings gerichtlich überprüfbar. Die Darstellungslast für die Notwendigkeit – nicht lediglich Zweckmäßigkeit – einer herstellerbezogenen Leistungsbeschreibung liege dabei beim Auftraggeber; er muss seine (Ausnahme-)Gründe umfassend, objektiv und nachvollziehbar belegen und dokumentieren.

Produktvorgabe bei Fehler- und Kompatibilitätsrisiken gerechtfertigt

Wird dies beachtet, könne eine Produktvorgabe aus technischen Gründen dann gerechtfertigt sein, „wenn im Interesse der Systemsicherheit und Funktion eine wesentliche Verringerung von tatsächlich bestehenden und abzuwendenden Risikopotentialen wie das Risiko von Fehlfunktionen und Kompatibilitätsproblemen bewirkt wird“.

Insbesondere in sicherheitsrelevanten Bereichen dürften Auftraggeber „den sichersten Weg einschlagen und so jedwedes Risikopotential ausschließen“. Bei sonstigen Kompatibilitätsproblemen, die bei der Beschaffung neuer Systemkomponenten – insbesondere von IT-Komponenten – regelmäßig auftreten können, „muss der Auftraggeber demgegenüber aufzeigen, dass durch den Wechsel des Systems oder die produktneutrale Ergänzung ein unverhältnismäßiger Mehraufwand entstünde oder die Funktionalität auf nicht hinnehmbare Weise beeinträchtigt würde“.

Weiternutzung zur Vermeidung von Einarbeitungsaufwand sowie der Beeinträchtigung täglicher Arbeitsabläufe gerechtfertigt

Vor diesem Hintergrund hält das OLG Düsseldorf im entschiedenen Fall die vom Auftraggeber gewünschte Weiternutzung einer eingeführten Software im schulischen Bereich, die von einer Vielzahl unterschiedlich kundiger Personen genutzt wird, für vergaberechtlich vertretbar; die Entscheidung zugunsten einer einheitlichen Software-Umgebung für einen heterogenen Nutzerkreis sei – wie gesetzlich als Voraussetzung für eine Ausnahme vom Gebot der produkt- und herstellerneutralen Ausschreibung gefordert – sachlich gerechtfertigt sowie aufgrund objektiver und auftragsbezogener Gründe nachvollziehbar und diskriminierungsfrei getroffen.

Das Gericht akzeptiert damit die Begründung des Auftraggebers, dass ihm ein Softwaremischbetrieb angesichts eines erhöhten Einarbeitungsaufwands in verschiedene herstellerspezifische Softwaresysteme und mit Blick auf eine dauerhafte Beeinträchtigung der täglichen Arbeitsabläufe sowie eines erheblichen Mehraufwands bei den Nutzern nicht zuzumuten sei.

Hardware und Software vom selben Hersteller vergaberechtlich zulässig

Mit ähnlichen Überlegungen hält das Gericht die Entscheidung, benötigte Hardware und Software „aus einer Hand“, also von demselben Hersteller zu beziehen, für vergaberechtlich zulässig; gerade in einem Nutzerumfeld, in dem die gleichförmige Funktion einer Vielzahl von Geräten für unterschiedliche Nutzergruppen zu gewährleisten sei, dürften befürchtete Kompatibilitätsprobleme, die die Funktionalität in nicht hinnehmbarer Weise beeinträchtigen würden und einen unverhältnismäßigen Mehraufwand bei Nutzung und Support entstehen ließen, bei der Beschaffungsentscheidung für einen (einzigen) Hersteller den Ausschlag geben.

So erfreulich die Entscheidung des OLG Düsseldorf für den öffentlichen Auftraggeber im Grunde ist, darf sie nicht über den erheblichen und fallspezifischen Begründungsaufwand hinwegtäuschen, den eine Abweichung vom Grundsatz der produkt- und herstellerneutralen Ausschreibung auch im Bereich der EDV und IT erfordert.

 

Vielen Dank an Dr. Peter Czermak für seine wertvolle Unterstützung beim Verfassen dieses Beitrages.

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Autor dieses Artikels

Dr. Christian Teuber

Partner

Rechtsanwalt, Fachanwalt für Vergaberecht

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