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Noch ist alles nur Theorie, aber in Zukunft werden Mixed-Reality-Technologien wie Virtual und Augmented Reality auch im Zivilprozess eine Rolle spielen. Im zweiten Teil dieser Serie stellen wir denkbare Anwendungsfälle vor.
Im ersten Beitrag dieser Serie wurden die Begrifflichkeiten Virtual Reality (VR), Augmented Reality (AR) und Mixed Reality (MR), ihre Unterschiede sowie Vor- und Nachteile im Zivilprozess erläutert:
Einsatz von Virtual und Augmented Reality in Zivilprozessen
Im wirtschaftlichen Leben hat sich der Einsatz von Mixed-Realtiy-Technologien wie Virtual und Augmented Reality bereits etabliert. So ist beispielsweise die Erstellung von digitalen Zwillingen (Beispiel) in der Baubranche oder die Durchführung virtueller Wohnungsbesichtigungen in der Immobilienbranche mittels einer VR-Brille (Beispiel) heutzutage kaum wegzudenken.
Bislang wurden Mixed-Reality-Technologien jedoch, soweit ersichtlich, noch nicht im Rahmen von Zivilprozessen zur Beweisführung verwendet. Das Team von Baker Tilly ist jedoch davon überzeugt, dass sich dies in Zukunft ändern wird und stellt im Folgenden bereits jetzt schon denkbare Anwendungsfälle vor.
Rekonstruktion bereits vergangener Sachverhalte, etwa von Unfallhergängen
Ein erster potenzieller Anwendungsfall von Mixed-Reality-Technologien im Zivilprozess wäre die Rekonstruktion bereits vergangener Sachverhalte. Beispielsweise kann Mixed Reality bei Unfällen im Straßenverkehr oder auf der Arbeit helfen, den Geschehensablauf im Nachgang virtuell zu rekonstruieren und im Prozessrahmen zu veranschaulichen. Dies ermöglicht allen Prozessbeteiligten eine bessere Veranschaulichung der Ereignisse.
Darüber hinaus ergeben sich weitere Vorteile durch den Einsatz Mixed Reality: Durch eine Programmierung im dreidimensionalen Raum können die Prozessbeteiligten wirklich jede Perspektive einnehmen. Damit lassen sich einfache Fragen beantworten, etwa folgende: konnte ein Zeuge hinter der Hausecke das deliktische Vorgehen sehen?
Zur Beantwortung können Gericht und Prozessbeteiligte im Nachgang virtuell diese Perspektive einnehmen – also direkt aus den Augen des Zeugen den Blick auf den Ort des Geschehens im dreidimensionalen Raum richten. Der Vorteil: Der klassische Ortstermin gemäß § 219 Abs. 1 Var. 2 ZPO entfällt, was unmittelbar Reisekosten- und Mühen erspart.
Weiterhin könnte bei Sachverhaltsergänzungen bzw. -änderungen via Mixed Reality relativ problemlos jederzeit ein 3D-Modell als Computerprogramm wieder zur Betrachtung und Diskussion geöffnet werden. Ein weiterer Vorteil im Vergleich zum klassischen Ortstermin bestünde darin, dass vergangene Handlungen durch Programmierung eben unmittelbar visibel anschaulich werden (Wie stand der Wagen nach dem Verkehrsunfall?).
Die Berücksichtigung im Zivilprozess dürfte über § 371 Abs. 1 ZPO erfolgen.
Nachteilig beim Einsatz von Mixed-Reality-Technologien ist die persönliche Färbung der Simulationen. Sie werden ausschließlich auf Grundlage von Zeugenaussagen erstellt, die Unsicherheiten enthalten und durch ihre starke Suggestivwirkung den reellen Ablauf in den Hintergrund rücken lassen. Sprich, es bestünde möglicherweise das Risiko, dass durch die dreidimensionale Visualisierung dem Modell ein objektiver Charakter beigemessen wird, dem die Zeugenaussage nicht entspricht. Hinzu kommen die möglichen und wohl nicht unerheblichen Kosten einer solchen Programmierung. Hier könnte es sich anbieten, entsprechende Gutachter im Zivilprozess gemäß §§ 402 – 414 ZPO zu Erstellung der Simulationen hinzuzuziehen.
Ortsbegehungen und Mixed Reality
Eine weitere Möglichkeit für die Verwendung von Mixed Reality sind Ortsbegehungen, die per Augmented Reality durchgeführt werden können: Beispielsweise könnten Gutachter mittels MR-Brille,beispielsweise das Hololens-Modell von Microsoft, in die Lage versetzt werden, Gebäude, zu begehen. Augmented Reality würde in diesem Zusammenhang konkret bedeuten, dass über die in der Brille eingebaute Kamera die analoge Realität aufgezeichnet wird, um sie im Verhandlungssaal per Leinwand/Monitor wiederzugeben.
Nun könnte – als einfacher Fall – beispielsweise ein Gutachter oder jemand aus einem Gutachterbüro mit dieser Kamera einen Rohbau, der in seinem Baustand und dessen Vertragskonfomität streitig ist, zunächst tagesaktuell (ab-)filmen. Im Gerichtssaal könnte dann unmittelbar digital die Bauplanung, – die mittlerweile zumindest bei gewerblichen Kunden digital dreidimensional angefertigt wird, – über das analoge Bild des Baus gelegt werden. Das bedeutet, dass sich auf diese Weise dort unmittelbar Abweichungen bei Streitigkeiten visualisieren lassen.
Dies kann die Notwendigkeit für physische Ortsbegehungen reduzieren und es ermöglichen, alle erforderlichen Informationen während der Begehung bereitzustellen. Im Zusammenhang mit einer durchgängigen virtuellen Verhandlung könnte sich dies eine enorme Erleichterung und Mehrwert bieten: Einfaches Beispiel: Das Planungsbüro aus der Schweiz und die Investoren aus Japan müssen nicht zum Vor-Ort Termin und Gericht anreisen.
Mixed Reality bei Mediationen
Auch die Verwendung von Mixed-Reality-Technologien im Rahmen von Mediationen ist denkbar. Ohne die im ordentlichen Zivilprozess zwingenden ZPO-Vorschriften beachten zu müssen, könnten die Beteiligten durch die Verwendung von Mixed-Reality in eine virtuelle Umgebung versetzt werden, in der sie ihre Perspektiven und Lösungsvorschläge leichter veranschaulichen und verstehen können. Dies kann dazu beitragen, die Kommunikation zu verbessern und eine schnellere Lösung zu erreichen, die für mehr Zufriedenheit sorgt.
Mixed Reality in Zivilprozessen erfordert juristische Grundlagenarbeit
Es ist zu erwarten, dass Mixed-Reality-Technologien in Zukunft auch im Zivilprozess verwendet und weitere Möglichkeiten entstehen werden. Dabei spielt es eine wichtige Rolle, die technischen Möglichkeiten und die damit verbundenen Risiken sorgfältig abzuwägen, um sicherzustellen, dass die Ergebnisse fair und zuverlässig sind.
Ein wichtiger Aspekt wird auch die Entwicklung von Standards und Regulierungen sein, um sicherzustellen, dass die Verwendung von Mixed-Reality-Technologien im Zivilprozess einheitlich und transparent durchgeführt wird. Dies kann dazu beitragen, das Vertrauen in die Ergebnisse zu erhöhen und die Akzeptanz der Technologie zu steigern. Letztlich ist dies ein Bereich, der einiges an juristischer Grundlagenarbeit erfordert.
Vielen Dank für die Mitwirkung am Artikel an Nils Versteeg, wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Baker Tilly.
Andreas Metzner, LL.M.
Director
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht
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