Bundesarbeitsgericht: Besseres Verhandlungsgeschick ist kein Grund für schlechtere Bezahlung
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat mit einem Grundsatzurteil die Verhandlungsfreiheit von Arbeitgebern und Arbeitnehmern bei Gehaltsvereinbarungen erheblich eingeschränkt.
In seinem Grundsatzurteil zur diskriminierungsfreien Bezahlung von Männern und Frauen hat das BAG am 16. Februar 2023 festgestellt, dass es gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz („Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“) verstößt, wenn ein Arbeitgeber die schlechtere Bezahlung einer Arbeitnehmerin damit begründet, dass der männliche Kollege mit den gleichen Arbeitsaufgaben und Verantwortlichkeiten mehr Geschick bei den Gehaltsverhandlungen bewiesen hat. Zukünftig werden Arbeitgeber Entgeltgleichheit herstellen müssen, in dem sie sicherstellen, dass immer dann, wenn sie Gehaltsforderungen eines Arbeitnehmers akzeptieren, einer ebenso qualifizierten und erfahrenen Arbeitnehmerin, der die gleichen Arbeitsaufgaben übertragen worden sind, ebenfalls ein höheres Gehalt gezahlt wird.
Im konkreten Fall sprach das BAG der Klägerin neben dem entgangenen Differenzlohn auch eine Entschädigung in Höhe von 2.000 Euro zu.
Der Sachverhalt
Die klagende Arbeitnehmerin war in einem Metallbetrieb in Sachsen als Außendienstmitarbeiterin beschäftigt und hatte zunächst auf der Grundlage des Arbeitsvertrages einen monatlichen Gehaltsanspruch in Höhe von 3.500 Euro brutto. Später richtete sich ihre Vergütung dann nach einem Haustarifvertrag, der auch die Einführung eines neuen Entgeltgruppensystems vorsah.
Aufgrund einer ebenfalls im Haustarifvertrag vorgesehenen Regelung, nach der die Gehälter nur „sukzessive“ auf die neue Entgeltgruppe erhöht werden sollten („Deckelungsregelung“), wurde die Klägerin allerdings nicht unmittelbar in die entsprechende Entgeltstufe eingruppiert. Vielmehr hat der Arbeitgeber ihr Gehalt der tarifvertraglichen Deckelungsregelung entsprechend lediglich um 120 Euro brutto monatlich erhöht. (Bei unmittelbarer Eingruppierung hätte die Klägerin monatlich 4.140 Euro brutto verdient).
Neben der Klägerin beschäftigte die Beklagte auch einen männlichen Arbeitnehmer als Außendienstmitarbeiter, der nahezu zeitgleich mit der Klägerin in das Unternehmen der Beklagten eintrat und dem die Beklagte bei Vertragsabschluss ebenfalls ein Grundentgelt in Höhe von 3.500 Euro brutto/monatlich angeboten hatte. Dieses Angebot hatte der Arbeitnehmer jedoch abgelehnt und sich mit der Arbeitgeberin zunächst vorübergehend auf ein monatliches Bruttogehalt in Höhe von 4.500 und sodann auf 4.000 Euro geeinigt. Mit dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Haustarifvertrages zahlte die Beklagte dem männlichen Arbeitnehmer dann ein tarifvertragliches Grundentgelt in derselben Entgeltgruppe wie der Klägerin, das nach Anwendung der „Deckelungsregelung“ auf € 4.120,00 Euro brutto/monatlich angehoben wurde.
Die Klägerin, die sich in dem Rechtstreit vor dem BAG von einem auf Diskriminierungsfragen spezialisierten Verein vertreten ließ, der das Verfahren als Musterverfahren führte, erkannte hierin einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz. Daraufhin verlangte sie von ihrer Arbeitgeberin die Nachzahlung der – im Verhältnis zu ihrem Kollegen bestehenden – Differenzvergütung und eine angemessene Entschädigung, da sie beim Entgelt aufgrund ihres Geschlechts benachteiligt wurde.
Nachdem die Vorinstanzen die Klagen der Frau abwiesen, hatte die Revision vor dem 8. Senat des Bundesarbeitsgerichts überwiegend Erfolg, lediglich bei der Entschädigungszahlung blieb das Gericht deutlich unterhalb der Forderung der Klägerin.
Wie begründet das BAG seine Entscheidung?
Eine geschlechtsbezogene Benachteiligung der Klägerin liegt vor, da sie – obgleich sie und der männliche Kollege die gleiche Arbeit verrichteten – ein niedrigeres Grundentgelt erhalten hat als der männliche Kollege. Allein der Umstand, dass die Klägerin für die gleiche Arbeit ein niedrigeres Grundentgelt erhielt als ihr männlicher Kollege, begründet bereits die gesetzliche Vermutungswirkung, dass die Benachteiligung aufgrund des Geschlechts erfolgt ist. Der Beklagten ist es auch nicht gelungen, diese Vermutung zu widerlegen.
Insbesondere kann sich die Arbeitgeberin nicht darauf berufen, dass die höhere Vergütungszahlung an den männlichen Kollegen auf dem Umstand beruht, dass dieser bei den Gehaltsverhandlungen besser (weil für sich günstiger) verhandelt hat. Im Übrigen ergibt sich der höhere Entgeltanspruch der Klägerin unmittelbar aus dem Haustarifvertrag.
Die dort enthaltene Deckelungsregelung findet auf den Vergütungsanspruch der Klägerin keine Anwendung, weil diese zuvor kein tarifliches, sondern ein einzelvertragliches Entgelt bezogen hat. Neben der nachzuzahlenden Differenzvergütung ist der Entschädigungsanspruch wegen der Benachteiligung des Geschlechts begründet.
Praxishinweis
Unverständlich ist bereits, dass es der Arbeitgeber zugelassen hat, diesen Rechtsstreit bis in die Revisionsinstanz zu tragen, sodass nun eine „Musterentscheidung“ vorliegt, die Nachahmer auf den Plan rufen wird. Daraus entsteht – schlimmstenfalls – ein (ungeplanter) wirtschaftlicher Mehraufwand für Arbeitgeber. Nicht unmittelbar nachvollziehbar ist auch, warum bereits dann eine Diskriminierung vorliegt, wenn jemand mit dem angebotenen Lohn zunächst zufrieden war und sich erst im Nachhinein ungerecht behandelt fühlt, weil jemand anderes erfolgreich eine höhere Bezahlung verlangt und erhalten hat.
Da ein entsprechender (Nach-)Vergütungsanspruch nicht gewährt worden wäre, wenn es sich bei der niedriger vergüteten Frau um einen männlichen Arbeitnehmer gehandelt hätte, stellt sich die Frage: Ist die Entscheidung wirklich geeignet, Rechtsfrieden in den Unternehmen zu sichern und Gleichbehandlung zu fördern? Das BAG ordnet ganz offenbar das Prinzip der Selbstverantwortung dem Diskriminierungsschutz unter.
Damit es in der Betriebsrealität gar nicht erst zum Streit kommt, empfehlen wir Arbeitgebern, in der Stellenausschreibung ausdrücklich zu erwähnen, dass das Gehalt verhandelbar ist. Die Frage, ob männliche und weibliche Bewerber dann gleich(-gute) Verhandlungsergebnisse erzielen, kann dann offenbleiben.