Einheitlicher Verhinderungsfall bei durchgehender Krankheit? LAG urteilt pro beklagte Arbeitgeberin
Wann besteht ein Entgeltfortzahlungsanspruch und ein einheitlicher Verhinderungsfall bei aufeinanderfolgenden Krankheitszeiten? Zur Frage hat das LAG Berlin-Brandenburg eine für Arbeitgeber erfreuliche Entscheidung getroffen.
Die Parteien streiten über Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Die Klägerin war mehrfach jeweils sechs Wochen mit unterschiedlichen Diagnosen von derselben Ärztin krankgeschrieben. Jeweils nach Ablauf von sechs Wochen reichte die klagende Arbeitnehmerin erneut Erstbescheinigungen bei der beklagten Arbeitgeberin ein. Zwischen dem Tag der letzten Arbeitsunfähigkeit, die durch die letzte Folgebescheinigung attestiert wurde, und dem ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit, die durch die (neue) Erstbescheinigung attestiert wurde, lag jeweils ein arbeitsfreies Wochenende. Die Beklagte bestritt, dass es sich im Zusammenhang mit den Arbeitsunfähigkeitszeiten jeweils um Ersterkrankungen gehandelt hat und stellte die Entgeltfortzahlung nach sechs Wochen ein. Die Arbeitnehmerin erhob Klage und forderte die Lohnfortzahlung.
Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg (LAG Berlin-Brandenburg v. 17.11.2022 – 10 Sa 1471/21) judizierte, dass die Klägerin hätte beweisen müssen, dass kein einheitlicher Verhinderungsfall vorlag, weil die Arbeitsunfähigkeit wegen der „früheren“ Krankheit vor Eintritt der neuerlichen Erkrankung bereits beendet war. Dies konnte die Klägerin im vorliegenden Prozess nicht. Weitere Entgeltfortzahlungsansprüche über die ersten sechs Wochen hinaus musste die Arbeitgeberin daher nicht zahlen.
Wann liegt ein einheitlicher Verhinderungsfall vor?
Grundsätzlich und unstreitig ist der Anspruch auf Entgeltfortzahlung bei Arbeitsunfähigkeit auf die Dauer von sechs Wochen begrenzt, und zwar auch dann, wenn während einer bestehenden Arbeitsunfähigkeit eine neue Krankheit auftritt, die ebenfalls die Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat („Grundsatz der Einheit des Verhinderungsfalls“).
Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG v. 11.12.2019 – 5 AZR 505/18) ist ein einheitlicher Verhinderungsfall regelmäßig hinreichend indiziert, wenn zwischen einer „ersten“ krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit und einer dem Arbeitnehmer im Wege der „Erstbescheinigung“ attestierten weiteren Arbeitsunfähigkeit ein enger zeitlicher Zusammenhang besteht. Ein solcher enger, zeitlicher Zusammenhang liegt dann vor, wenn die bescheinigten Arbeitsverhinderungen zeitlich entweder unmittelbar aufeinanderfolgen oder zwischen ihnen lediglich ein für den erkrankten Arbeitnehmer arbeitsfreier Tag oder ein arbeitsfreies Wochenende liegt.
Die im vorliegenden Fall vorhergehenden Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen endeten jeweils am Freitag und die nachfolgenden Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen begannen jeweils am darauffolgenden Montag. Die Ärztin hat als Zeugin bestätigt, dass sie diese, wie ihr Kollege auch, immer so ausstellen würden, wenn es am Wochenende keine Arbeitspflicht gebe.
Wer muss nun was beweisen?
Wenn der Arbeitgeber gewichtige Indizien dafür vorbringt, dass sich die Erkrankungen, hinsichtlich der dem Arbeitnehmer Arbeitsunfähigkeit attestiert worden ist, tatsächlich überschneiden, sieht das Bundesarbeitsgericht den Beweiswert der als (neuen) Erstbescheinigung erstellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, die dem Arbeitnehmer hinsichtlich der „neuen“ Krankheit ausgestellt wurde, als „erschüttert“ an.
Der Arbeitnehmer kann dann aber beweisen, dass der Zeitpunkt, an dem seine frühere Krankheit endete vor Beginn der neuerlichen Arbeitsverhinderung lag. Als Beweismittel steht ihm dafür das Zeugnis des behandelnden Arztes zur Verfügung.
Diesen Beweis konnte die klagende Arbeitnehmerin im vorliegenden Fall nicht führen: Vielmehr schilderte die behandelnde Ärztin im Prozess, dass sie üblicherweise die vorhergehende Erkrankung nicht mehr untersucht, wenn es diesbezüglich keine weiteren Schilderungen der Patientin gibt. Weiterhin ermittele sie auch den genauen Beginn der (neuen) Erkrankung nicht, die Grundlage der dann am Montag jeweils attestierten neuen Arbeitsunfähigkeitszeiten war.
Das Gericht bewertete daher, dass die Arbeitsunfähigkeit der Klägerin auf einem einheitlichen Verhinderungsfall beruhte, so dass eine Entgeltfortzahlungspflicht für die beklagte Arbeitgeberin nicht über die ersten sechs Wochen hinaus bestand.
Wann lohnt für Arbeitgeber die Überprüfung eines einheitlichen Verhinderungsfalls?
Das von dem Landesarbeitsgericht zugelassene Revisionsverfahren ist inzwischen ohne, dass es eine Entscheidung in der Sache selbst gegeben hat, beendet worden. Die Parteien haben das Hauptsacheverfahren für erledigt erklärt (Bundesarbeitsgericht Beschluss v. 20.07.2023 Az. 5 AZR 65/23).
Insofern bleibt es – und das ist aus Arbeitgebersicht erfreulich – bei den o.a. Feststellungen zur Erschütterung des Beweiswertes einer als Erstbescheinigung ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung.
Sofern also bei einer fortgesetzten ununterbrochenen Arbeitsunfähigkeit eines Arbeitnehmers nach Ablauf von sechs Wochen Erstbescheinigungen vorgelegt werden, kann es sich lohnen dafür zu streiten, dass ein einheitlicher Verhinderungsfall vorliegt.