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Grundsätzlich vereinbaren Arbeitgeber und Arbeitnehmer eine bestimmte Höhe der Arbeitszeit (zumeist Wochenstunden), wobei der Arbeitnehmer bei Überschreitung der vereinbarten Stundenzahl Überstunden leistet.
Bei der Frage, ob und wie diese Mehrarbeit zu vergüten ist, kommt es immer wieder zu Streit zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, was nicht selten vor die Arbeitsgerichte führt.
Nun hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) in seiner Entscheidung vom 4. Mai 2022 nach dem aufsehenerregenden Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom Mai 2019 - vorerst - Klarheit geschaffen: Arbeitnehmern obliegt nach wie vor die Verpflichtung, ihre geleisteten Überstunden nachzuweisen. Die Beweislast hat sich nicht verändert.
In einem Urteil vom 4. Mai 2022 (Az. 5 AZR 359/21) hatte sich das BAG mit der Frage zu beschäftigen, ob sich die bisherigen Grundsätze zur Darlegungs- und Beweislast in Prozessen um Überstunden-Vergütung durch eine Entscheidung des EuGH geändert haben. Die Entscheidung des BAG war nach dem berühmten Stechuhr-Urteil des EuGH vom 14. Mai 2019 mit Spannung erwartet worden.
Dem Stechuhr-Urteil lag folgender Fall zugrunde:
Eine Gewerkschaft in Spanien hatte gegen die Deutsche Bank geklagt mit dem Ziel festzustellen, die Bank sei als Arbeitgeberin verpflichtet, die Arbeitszeit ihrer Mitarbeiter vollständig zu erfassen, sowohl die reguläre Arbeitszeit als auch die Überstunden. Nach Auffassung der Gewerkschaft sollte sich die Einhaltung der Arbeitszeit so leichter kontrollieren lassen, andererseits die Bezahlung von Überstunden sichergestellt werden. Da das spanische Recht – genau wie in Deutschland (bis auf wenige Ausnahmen) – nur die Aufzeichnung von Überstunden vorsieht, legte das zuständige spanische Gericht diese Frage dem EuGH vor. Dieser entschied, die bloße Aufzeichnung der Überstunden sei mit europäischem Recht nicht vereinbar. Die gesamte Arbeitszeit sei zu erfassen. Schließlich sei nur so die Feststellung möglich, ob Überstunden geleistet wurden.
Daraus folgt(e) für alle Mitgliedstaaten die Verpflichtung, ein System zur Arbeitszeiterfassung einzuführen. Die Entscheidung nährte die Hoffnung vieler Arbeitnehmer und ihrer Arbeitnehmervertreter, es werde künftig einfacher, die Bezahlung von Überstunden gerichtlich durchzusetzen. Vor dem Stechuhr-Urteil hatten es Arbeitgeber nicht besonders schwer gehabt, Klagen von Arbeitnehmern auf Vergütung von Überstunden entgegenzutreten, da der Arbeitnehmer der vollen Beweispflicht beim Nachweis seiner Überstunden unterlag. Dies machte die Darlegung in vielen Fällen schwierig bis unmöglich.
So sah man sich nach Mai 2019 auch in Deutschland mit den Konsequenzen aus dem Urteil des EuGH konfrontiert, da das deutsche Arbeitszeitgesetz – abgesehen von Minijobbern und bestimmten Branchen – bislang ebenfalls wie in Spanien nur die Erfassung von Überstunden anordnete. Ein unmittelbarer Handlungsbedarf für den deutschen Arbeitgeber resultierte damit nicht aus dem Stechuhr-Urteil, da zunächst der deutsche Gesetzgeber in der Pflicht ist, die Entscheidung des EuGH in das deutsche Recht zu übertragen. Dies ist bislang nicht geschehen und politische Entscheidungen zur tatsächlichen Umsetzung in Deutschland stehen noch aus.
Nun hat das BAG mit seinem Urteil vom 4. Mai 2022 (5 AZR 359/21) - zumindest vorerst - klargestellt: Der Arbeitnehmer muss seine Überstunden nach wie vor nachweisen. Zudem besteht der Anspruch auf Vergütung der Überstunden auch nur insoweit, als diese vom Arbeitgeber angeordnet, geduldet oder nachträglich gebilligt wurden. Damit macht das BAG sehr deutlich: An der Darlegungs- und Beweislast der Arbeitnehmer für die von ihnen geleisteten Überstunden hat sich nichts geändert. Es wies damit die Klage eines Lieferfahrers auf Vergütung seiner Überstunden ab.
Im Einzelnen
Der Kläger war als Auslieferungsfahrer bei einem Einzelhandelsunternehmen beschäftigt. Seine Arbeitszeit hatte der Kläger mittels technischer Aufzeichnung zu erfassen, wobei dabei nur jeweils Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit, nicht aber die Pausenzeiten, erfasst wurden. Bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses wies die Auswertung seiner Arbeitszeiterfassung ein Plus in Höhe von 348 Stunden zugunsten des Klägers auf. Dieses Plus verlangte der Kläger sodann als Überstundenvergütung von der Beklagten. Dabei gab er an, die gesamte aufgezeichnete Arbeitszeit gearbeitet zu haben, da es ihm wegen der Auslieferungsaufträge nicht möglich gewesen sei, Pausen zu nehmen. Die Beklagte bestritt dies.
Das Arbeitsgericht Emden hatte der Klage des Fahrers vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des EuGH noch stattgeben mit dem Argument, die Darlegungslast in Überstundenvergütungsprozessen sei durch die Entscheidung modifiziert worden. Dieses Urteil kippte das Landesarbeitsgericht (LAG) Niedersachsen und wies die Klage mit Ausnahme der von der Beklagten abgerechneten Überstunden ab. Die Revision des Klägers blieb vor dem 5. Senat des BAG ohne Erfolg. Vom Erfordernis der Darlegung der arbeitgeberseitigen Veranlassung und Zurechnung von Überstunden durch den Arbeitnehmer sei auch nicht vor dem Hintergrund der genannten Entscheidung des EuGH abzurücken.
Nach Argumentation des BAG hänge dies unter anderem mit der Auslegung der Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG und des Art. 31 der Grundrechte-Charta der Europäischen Union zusammen, deren Schutzzwecke unter dem Gesichtspunkt der Arbeitszeitgestaltung die Sicherheit und der Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer zu sehen seien und es nicht um Vergütungsfragen bzw. damit einhergehende prozessuale Fragen von Arbeitnehmern ginge. Von den entwickelten Grundsätzen der Beweislastverteilung rückte das BAG damit nicht ab. Deshalb hat die unionsrechtlich begründete Pflicht zur Messung der täglichen Arbeitszeit deshalb auch keine Auswirkungen auf die nach deutschem materiellen und Prozessrecht entwickelten Grundsätze über die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast im Überstundenvergütungsprozess. Hiervon schon ausgehend hatte das LAG Niedersachsen, das hierin vom BAG bestätigt wurde, zutreffend angenommen, die pauschale Behauptung des Klägers, er habe die Pausenzeiten durcharbeiten müssen ohne nähere Beschreibung des Umfangs der Arbeiten, genüge nicht. Die Frage, ob die Behauptung überhaupt stimmte, konnte so offenbleiben.
Konsequenzen aus dem Urteil
Nach dem Urteil des BAG steht somit fest: Die Entscheidung des EuGH hat nichts an der Darlegungspflicht des Arbeitnehmers zu Überstunden geändert. Es verbleibt bei dem Grundsatz, dass Arbeitnehmer, die sich darauf berufen, Überstunden geleistet zu haben, diese im Falle eines Rechtsstreits darzulegen und zu beweisen haben. Die gerichtliche Geltendmachung bedeutet daher auch weiterhin eine hohe Hürde.
Der Arbeitnehmer hat in seinem Überstundenvergütungsprozess als erstes darzulegen, dass er Arbeit in einem die Normalarbeitszeit übersteigenden Umfang geleistet oder sich auf Weisung des Arbeitgebers hierzu bereitgehalten hat. Sodann hat er vorzutragen, dass der Arbeitgeber die geleisteten Überstunden ausdrücklich oder konkludent angeordnet, geduldet oder nachträglich gebilligt hat, da der Arbeitgeber nur Vergütung für die von ihm veranlassten Überstunden zu leisten hat.
Aussicht
Die vom Bundesarbeitsgericht entwickelten Grundsätze zur Verteilung der Darlegungs- und Beweislast für die Leistung von Überstunden durch den Arbeitnehmer und deren Veranlassung durch den Arbeitgeber werden durch die auf Unionsrecht beruhende Pflicht zur Einführung eines Systems zur Messung der vom Arbeitnehmer geleisteten täglichen Arbeitszeit bis dato nicht verändert.
Dies könnte sich aber ändern, da der Gesetzgeber durch das berühmte Urteil des EuGH verpflichtet wurde, ein rechtliches System zur Arbeitszeiterfassung zu schaffen. Je nach Ausgestaltung könnten sich daraus auch Änderungen für Prozesse um die Vergütung von Überstunden ergeben. Es bleibt daher abzuwarten, was sich in diesem Bereich künftig tut.
Nastassja Tramer
Director
Rechtsanwältin, Fachanwältin für Arbeitsrecht
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