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Arbeitnehmer haben einen Anspruch auf Erholungsurlaub. Mit den neuen Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 22. September 2022 (C-120/21, C-518/20, C-727/20) zum Urlaubsrecht wird dieser Anspruch von Beschäftigten weiter gestärkt.
In drei Fällen aus Deutschland haben die Richter in Luxemburg entschieden, dass der Urlaubsanspruch in bestimmten Fällen nicht verjährt bzw. verfällt. Entscheidend ist, ob der Arbeitgeber seinen Mitwirkungspflichten nachgekommen ist und darauf hingewiesen hat, dass der Urlaub bald verfällt. Für eine Verjährung muss er den Beschäftigten zuvor durch entsprechende Aufforderung tatsächlich in die Lage versetzt haben, seinen Urlaubsanspruch auszuüben.
Die Entscheidungen
Im ersten Fall klagte eine Steuerfachangestellte nach Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses auf Abgeltung ihres nicht genommenen Jahresurlaubs aus den Jahren 2013 bis 2017, den sie wegen der hohen Arbeitsbelastung nicht nehmen konnte. Als die ehemalige Beschäftigte 2018 die Abgeltung des Urlaubs der Vorjahre geltend machte, berief sich ihr Arbeitgeber auf die Verjährung dieser Ansprüche. Allerdings hatte er seine Mitwirkungspflichten nicht erfüllt und nicht darauf hingewiesen, dass der Urlaub verfallen kann, wenn die Arbeitnehmerin ihn nicht rechtzeitig nimmt.
Das Arbeitsgericht Solingen (Urteil vom 19.02.2019, Az. 3 Ca 155/18) wies die Klage hinsichtlich der nach nationalem Recht verjährten Ansprüche ab, das Landesarbeitsgericht Düsseldorf (Urteil vom 02.02.2020, Az. 10 Sa 180/19) gab der Klägerin Recht. Das BAG (Vorlagebeschluss vom 29.09.2020, Az. 9 AZR 266/20 [A]) legte dem EuGH die Sache zur Vorabentscheidung vor. Der EuGH sollte klären, ob das Unionsrecht die Verjährung des Urlaubsanspruchs trotz Verletzung der Hinweispflichten gestatte.
Die Luxemburger Richter entschieden, dass der gesetzliche Urlaubsanspruch zwar grundsätzlich der allgemeinen, „regelmäßigen“ Verjährungsfrist von drei Jahren unterliege. Die Verjährungsfrist beginne aber nicht automatisch. Vielmehr müsse der Beschäftigte positive Kenntnis von den seinen Urlaubsanspruch begründenden Umständen haben, damit die dreijährige Verjährungsfrist beginnt. Hierfür sei es erforderlich, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer in die Lage versetzt habe, den Urlaub tatsächlich zu nehmen. Dafür muss der Arbeitgeber den Mitarbeiter über den Umfang des noch bestehenden Urlaubs informiert, auf die maßgeblichen Fristen zur Urlaubsnahme hingewiesen und schließlich aufgefordert haben, den Urlaub tatsächlich in Anspruch zu nehmen. Erst wenn der Arbeitgeber dieser Informationspflicht nachkommt, beginnt die regelmäßige Verjährungsfrist zu laufen. Komme der Arbeitgeber seinen Hinweispflichten nicht nach, dürfe er nicht auch noch dadurch „belohnt“ werden, dass die Ansprüche des Arbeitnehmers verjähren.
In zwei weiteren Verfahren vom 22. September 2022 (Az. C-518/20 und C-727/20), die den Urlaubsanspruch bei Langzeiterkrankung betrafen, entschied der EuGH, dass es zwar europarechtskonform sei, wenn bei durchgehender Arbeitsunfähigkeit Urlaubsansprüche 15 Monate nach Ablauf des jeweiligen Urlaubsjahrs verfallen. Diese gelte allerdings nur, wenn der Arbeitgeber zuvor darauf hingewiesen habe.
Auswirkungen und Praxistipp
Müssen sich Arbeitgeber nun auf eine Klagewelle von Urlaubs(-abgeltungs-)ansprüchen aus der Vergangenheit einstellen? Dies hängt davon ab, wie das BAG bei den noch anstehenden Umsetzungen der Entscheidungen die Darlegungs- und Beweislast der offenen Urlaubsansprüche verteilt.
Um eine Verjährung oder einen Verfall des Urlaubsanspruchs zu erreichen, müssen Arbeitgeber ihren Mitwirkungs- und Hinweisobliegenheiten nachkommen. Wir empfehlen daher dringend – sofern noch nicht praktiziert – jedes Jahr Aufforderungsschreiben zur Urlaubsnahme mit Hinweis auf bestehende Resturlaubsansprüche und drohenden Verfall an die Mitarbeiter auszuhändigen. Nur wer diesen Nachweis erbringt, kann sich auf die Verjährung bzw. den Verfall berufen.
Kerstin Weckert
Partner
Rechtsanwältin, Fachanwältin für Arbeitsrecht, Licencié en droit, Mag. iur.
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