Das GWB-Digitalisierungsgesetz – was Unternehmen jetzt wissen müssen

  • 21.01.2021
  • Lesezeit 7 Minuten

Lange wurde um Details der 10. GWB-Novelle, das sog. „GWB-Digitalisierungsgesetz“, gerungen, am Ende ist es ganz schnell gegangen: Seit dem 19. Januar 2021 ist das neue deutsche Kartellrecht in Kraft. Durch die Neuregelungen soll das deutsche Kartellrecht für das digitale Zeitalter fit gemacht werden.

In der Berichterstattung steht der neue § 19a GWB im Vordergrund. Damit soll es dem Bundeskartellamt ermöglicht werden, gegen missbräuchliche Verhaltensweisen von Unternehmen „mit überragender marktübergreifender Bedeutung für den Wettbewerb“ vorzugehen. Diese Vorschrift hat v. a. Unternehmen wie Google, Amazon und Facebook im Blick. Generell werden die behördlichen Ermittlungskompetenzen (einschließlich Beweiserleichterungen) im Bereich der Digitalwirtschaft deutlich erweitert und gestärkt, etwa durch Konkretisierungen im Hinblick auf die digitalen Märkte, insbesondere auch die sog. Plattform-Märkte.

Darüber hinaus bringt die Novelle aber auch eine Vielzahl von Neuregelungen und Konkretisierungen, die für viele Unternehmen in ihrer täglichen Arbeit ebenfalls von großer Bedeutung sind, aber keinen Bezug zur Internet-Ökonomie haben und deshalb weniger Aufmerksamkeit erlangen. Nachfolgend stellen wir die wichtigsten Änderungen für die unternehmerische Praxis dar.

Vorerst keine Änderungen bei Beurteilung horizontaler oder vertikaler Wettbewerbsbeschränkungen

Keine inhaltlichen Änderungen gibt es bei der inhaltlichen Beurteilung horizontaler oder vertikaler Wettbewerbsbeschränkungen. Hier wird es erst durch die Novellierung der Vertikal-GVO auf EU-Ebene zur Mitte des Jahres 2022 Neues geben.

Weitreichende Änderungen im Bereich Digitalwirtschaft

Die Änderungen im Bereich Digitalwirtschaft haben zu tiefgreifenden Änderungen an den Vorschriften über den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung geführt. Jetzt stellt auch der Zugang zu bestimmten Daten ein Kriterium für die Bewertung der Marktstellung eines Unternehmens dar. Eine marktbeherrschende Stellung kann sich somit unter Umständen aus dem Zugang zu bestimmten wettbewerbsrelevanten Daten ergeben. Die Verweigerung des Zugangs zu solchen Daten kann dann einen Missbrauch einer solchen Stellung darstellen. In der Folge kann das marktbeherrschende Unternehmen verpflichtet werden, anderen Unternehmen Zugang zu diesen Daten zu gewähren (etwa im Hinblick auf Smart Home-Produkte o. ä.). Wichtig ist, dass der Anwendungsbereich dieser Regelungen nicht auf den Digitalbereich beschränkt ist. 

Auch wenn ein Unternehmen nicht marktbeherrschend ist, kann ein anderes Unternehmen Zugang zu bestimmten Daten verlangen, wenn es von dem anderen Unternehmen abhängig ist. Hierfür kommt es insbesondere darauf an, welche Zugangsmöglichkeiten das Unternehmen zu den benötigten Daten hat. Künftig ist es beispielsweise denkbar, dass Unternehmen (z. B. Maschinenbauer oder Automobilhersteller) bestimmte Daten an Dritte herausgeben müssen, wenn diese Dritten für ihre eigene Geschäftstätigkeit auf diese Daten angewiesen sind. Auf die mögliche Geltendmachung solcher Zugangsansprüche zu Daten müssen Unternehmen künftig vorbereitet sein.

Erhöhung der Rechtssicherheit bei Wettbewerberkooperationen

Bei Kooperationen zwischen Wettbewerbern wird die Rechtssicherheit erhöht: Die bestehende Praxis sog. informeller „Vorsitzendenschreiben“ ist nun auch im Gesetz vorgesehen. Darüber hinaus haben Unternehmen künftig unter gewissen Voraussetzungen auch Anspruch auf eine förmliche Entscheidung des Bundeskartellamts über die Zulässigkeit einer Kooperation.

Fusionskontrolle: Anhebung der Inlandsumsatzschwellen

Im Bereich der Fusionskontrolle wurden die beiden bisherigen Inlandsumsatzschwellen von EU 25 Mio. und EUR 5 Mio. in letzter Minute auf EUR 50 Mio. und EUR 17,5 Mio. angehoben. Dadurch soll die Zahl der Fusionskontrollanmeldungen gerade in unproblematischen Fällen verringert und das Bundeskartellamt entlastet werden. Für den M&A-Bereich ist dies – mit Ausnahme von Joint Venture-Konstellationen – eine echte Erleichterung. Die häufig vergessene „Vollzugsanzeige“ wurde gestrichen. Für Krankenhausfusionen gibt es eine befristete Ausnahme von der Fusionskontrolle, sofern diese Krankenhäuser aus dem Krankenhausstrukturfonds gefördert werden. Weitere Einzelheiten zu den Neuerungen im Bereich Fusionskontrolle finden Sie im Beitrag "Neuerungen in der Fusionskontrolle: Weitreichende Erleichterungen bei Transaktionen durch GWB-Digitalisierungsgesetz".

Verschärfung des deutschen Fusionskontrollregimes

Zugleich wurde das deutsche Fusionskontrollregime verschärft. So kann das Bundeskartellamt künftig Unternehmen unter gewissen Voraussetzungen dazu zwingen, für einen Zeitraum von drei Jahren Zusammenschlüsse in bestimmten Wirtschaftszweigen zur Fusionskontrolle anzumelden. Voraussetzung dieser „Anmeldeaufforderung“ ist, dass objektiv nachvollziehbare Anhaltspunkte dafür bestehen, dass weitere Zusammenschlüsse in einem bestimmten Wirtschaftszweig den Wettbewerb erheblich behindern können. Darüber hinaus muss das Bundeskartellamt in diesem Wirtschaftszweig zuvor eine Sektoruntersuchung durchgeführt haben und das betroffene Unternehmen einen Marktanteil von mindestens 15 % am Angebot oder der Nachfrage halten. Damit sollen sog. „Killer Acquisitions“ kontrolliert werden können, bei denen Unternehmen schrittweise kleine Wettbewerber (etwa in bestimmten Regionalmärkten) oder für die eigene Marktposition gefährliche Newcomer übernehmen.

Ermittlungsbefugnisse des Bundeskartellamts ausgeweitet

Weiter wurden die Ermittlungsbefugnisse des Bundeskartellamts ausgeweitet. Künftig sind natürliche Personen zur Auskunft und Herausgabe von Unterlagen verpflichtet und müssen auch Tatsachen offenbaren, die geeignet sind, eine Verfolgung wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit herbeizuführen. Uneingeschränkt gilt das Auskunftsverlangen jedoch nicht. Es muss nach § 59 Abs. 3 GWB verhältnismäßig sein und darf nicht zu einem Geständnis zwingen. Die Unterscheidung zwischen Unternehmen und Privaten führt das Gesetz bei der Auskunft wieder durch eine Hintertür ein. Es gilt ein Beweisverwendungsverbot: Die Kartellbehörde darf in einem Verfahren gegen ein Unternehmen eine Auskunft von einem Privaten nicht dazu verwenden, um gegen diesen oder dessen enge Angehörige Sanktionen zu verhängen. Das allgemeine Auskunftsverweigerungsrecht natürlicher Personen entfällt, wenn die Auskunft nur die Gefahr der Verfolgung im kartellbehördlichen Bußgeldverfahren begründet und das Bundeskartellamt eine Nichtverfolgungszusage erteilt. Bei Durchsuchungen besteht künftig eine bußgeldbewehrte Mitwirkungspflicht für Vertreter oder Mitarbeiter des Unternehmens. Die Kartellbehörde kann von Vertretern oder Mitarbeitern des Unternehmens Informationen, die den Zugang zu Beweismitteln ermöglichen könnten, sowie Erläuterungen zu Fakten oder Unterlagen, die mit dem Gegenstand und dem Zweck der Durchsuchung in Verbindung stehen könnten, verlangen und die Antworten zu Protokoll nehmen. Bestehende Leitfäden für das „richtige“ Verhalten bei Durchsuchungen müssen somit angepasst und aktualisiert werden. 

Gesetzliche Verankerung der Kronzeugenregelung des Bundeskartellamts im Bußgeldbereich

Im Bußgeldbereich wird die Kronzeugenregelung des Bundeskartellamts erstmals gesetzlich geregelt. Nicht nur Unternehmen, sondern auch Private können die Kronzeugenregelung in Anspruch nehmen. Bei diesem „Windhundrennen“ kommt es v. a. auf Geschwindigkeit an. Insbesondere bei horizontalen Kooperationen ist es im Einzelfall schwierig, zwischen erlaubtem und verbotenem Handeln abzugrenzen. Um hier nicht ins Hintertreffen zu geraten, empfiehlt es sich, interne Prozesse zu definieren. Denn hier gilt es möglichst schnell reagieren zu können, um gegebenenfalls durch einen Kronzeugenantrag ein Bußgeld zu vermeiden.

Compliance-Maßnahmen können künftig bußgeldmindernd berücksichtigt werden

Wichtig ist eine weitere Neuregelung im Rahmen der Bußgeldbemessung: Künftig können auch Compliance-Maßnahmen bußgeldmindernd berücksichtigt werden. Dies gilt sowohl für die Vortat-Compliance, die Rechtsverstöße möglichst vermeiden soll, als auch für die Nachtat-Compliance. Diese zielt darauf ab, einen oder mehrere Rechtsverstöße aufzuklären und dadurch zu Trage tretende Defizite, v. a. Lücken oder Fehler, im Compliance-System zu beheben. Die mögliche positive Berücksichtigung von Compliance-Maßnahmen sollte für Unternehmen Anlass sein, neue Compliance-Regelungen einzuführen oder bestehende Programme zu überprüfen, ob sie noch zeitgemäß sind oder ob Anpassungsbedarf besteht.

Änderung in der Bußgeldbemessung bei Verbänden

Gegenüber Verbänden können künftig Geldbußen verhängt werden, die sich nicht an dem Umsatz des Verbands, sondern an dem Umsatz bemessen, den die Mitgliedsunternehmen erzielt haben, die auf dem von den Kartellrechtsverstößen betroffenen Markt tätig sind. Darüber hinaus ist auch eine Bußgeldverhängung gegenüber diesen Unternehmen möglich. Kann der Verband die Buße nicht leisten, haften die Mitgliedsunternehmen. Die Verbandsarbeit wird durch diese Verschärfung in der Praxis sicher nicht einfacher.

Fazit: GWB-Digitalisierungsgesetz auch mit Auswirkungen auf „Nicht-Digitalwirtschaft“

Auch wenn die 10. GWB-Novelle einen Schwerpunkt auf die digitalen Märkte legt, ist die Bezeichnung als „Digitalisierungsgesetz“ zumindest in Teilen irreführend. Die Novelle bringt viel „mehr“ als bloße Neuregelungen zur Digitalisierung, die auch für Unternehmen außerhalb der Internet-Wirtschaft von weitreichender Bedeutung sind und zu Handlungsbedarf führen.

Unsere Kartellrechtsspezialisten beraten Sie gerne bei Fragen und bei der erforderlichen Anpassung Ihrer Compliance-Unterlagen. Sprechen Sie mich oder meine Co-Autoren Jens Thomas Füller und Felix Weidenbach gerne an.

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Autor dieses Artikels

Dr. Stefan Meßmer

Partner

Rechtsanwalt

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