Novum im Kartellrecht: OLG Düsseldorf erlässt Freispruch „1. Klasse“ im Bierkartellverfahren
- 13.09.2021
- Lesezeit 4 Minuten
Erstmals in der deutschen Rechtsgeschichte wurden Unternehmen in einem Kartellverfahren von dem Vorwurf illegaler Preisabsprachen wegen erwiesener Unschuld am 8. September 2021 vom OLG Düsseldorf freigesprochen.
Gegenstand des Verfahrens gegen drei Kölsch-Brauereien und zwei ihrer Manager war das angebliche Bierkartell. Anfang 2014 hatte das Bundeskartellamt gegen mehrere Brauereien, Verbände sowie weitere Verantwortliche wegen des Vorwurfs illegaler Preisabsprachen Geldbußen in Höhe von insgesamt 338 Millionen Euro verhängt. Aufgrund unterschiedlicher Sachverhaltskonstellationen wurde das Verfahren gegen die Kölsch-Brauer vom OLG Düsseldorf abgetrennt. Gegen die Kölsch-Brauereien und die Manager war ein Bußgeld in Höhe von insgesamt 8 Millionen Euro verhängt worden.
Kern des gerichtlichen Verfahrens war die Frage, ob die Brauereien in einer Sitzung des Wettbewerbsausschusses des Brauereiverbandes Nordrhein-Westfalen im September 2007 illegale Preisabsprachen getroffen hatten. Nach insgesamt 35 Verhandlungstagen hat das OLG die Brauereien und die für sie handelnden Personen vom Vorwurf illegaler Preisabsprachen freigesprochen.
Keine Preisabsprachen der Kölsch-Brauereien
Bemerkenswert an der Entscheidung ist, dass das Gericht keine ausreichenden Anhaltspunkte für Preisabsprachen feststellen konnte. Von insgesamt 14 befragten Zeugen gaben nur zwei an, sich überhaupt an illegale Preisabsprachen erinnern zu können. Die Erinnerungen der Zeugen waren nach Einschätzung des OLG aber zu vage und nicht fundiert genug, um eine Verurteilung wegen illegalen Verhaltens tragen zu können. Bei einem der Betroffenen konnte nicht einmal festgestellt werden, ob er überhaupt bei dem angeblichen Informationsaustausch in der Ausschusssitzung zugegen war.
Erster Freispruch „1. Klasse“ in einem Kartell-Bußgeldverfahren
Die Entscheidung des OLG Düsseldorf wird wohl die Rechtsgeschichte prägen: Bislang gab es keinen vergleichbaren Fall, in dem in einem Kartell-Bußgeldverfahren ein sog. Freispruch „1. Klasse“ erging.
Grundsätzlich wird nicht zwischen einem Freispruch wegen erwiesener Unschuld (sog. Freispruch „1. Klasse“) oder mangels Nachweises der Tat (sog. Freispruch „2. Klasse“) unterschieden. Ein Freispruch ist ein Freispruch. Der Beschluss des Düsseldorfer Gerichts ist dennoch – soweit ersichtlich – bislang einmalig. Ein wesentlicher Grund hierfür ist, dass die Einlegung eines Einspruchs gegen ein Kartell-Bußgeld für die betroffenen Unternehmen ein enormes Risiko darstellt, da das Gericht die vom Bundeskartellamt verhängten Bußgelder auch deutlich erhöhen kann. Deshalb wägen viele Unternehmen ab, ob sie dieses Risiko eingehen sollen oder doch das vom Bundeskartellamt verhängte Bußgeld hinnehmen und bezahlen, obwohl sie die Tatvorwürfe für haltlos oder unbegründet halten. Für die Kölsch-Brauereien hat sich der Mut gelohnt. Ihr Einspruch gegen den Bußgeldbescheid hat nicht zu einer Verringerung des verhängten Bußgelds, sondern zu einem völligen Freispruch geführt.
Die Probleme der Kronzeugenregelungen
Weiter macht der Beschluss des OLG deutlich, dass die Verfolgungspraxis des Bundeskartellamts Schwächen haben kann. Ein wesentlicher Baustein der Kartellverfolgung sind die Kronzeugenregelungen, so auch im deutschen Recht. Durch Kronzeugenregelungen soll die Ermittlungstätigkeit der Kartellbehörden erleichtert werden. Im Gegenzug sollen die Kronzeugen für ihren Beitrag zur Tataufdeckung und -aufklärung durch einen Erlass bzw. eine Ermäßigung der Geldbuße profitieren.
Problematisch ist, dass mehrere an einem angeblichen Kartell beteiligte Unternehmen und Personen die Kronzeugenregelung in Anspruch nehmen können. Wer nicht der erste oder zweite Kronzeuge ist, muss gegenüber den dem Bundeskartellamt bereits vorliegenden Informationen einen „Mehrwert“ erbringen. Dies kann zur Folge haben, dass mögliche Kartellverstöße durch die Beteiligten „aufgebauscht“ werden, um so in den Genuss der Kronzeugenregelung zu kommen.
In der Praxis kann dies zu gegenseitigen Anschuldigungen und Widersprüchen führen. Im „Bier-Kartell“ haben die widersprüchlichen Zeugenaussagen vor dem OLG maßgeblich zum Freispruch für die Brauereien geführt.
Rechtsbeschwerde zum BGH
Gegen das Urteil des OLG ist die Rechtsbeschwerde zum BGH möglich. Ob das Bundeskartellamt diesen Schritt gehen wird, ist noch offen.
Unsere erfahrenen Kartellrechtsspezialisten unterstützen Sie gerne bei Fragen rund um die kartellrechtliche Kronzeugenregelung sowie einen möglichen Einspruch gegen Bußgelder des Bundeskartellamts.