Weiterhin Bewegung beim Annahmeverzugslohn

  • 30.08.2024
  • Lesezeit 6 Minuten

Die Anrechnung böswillig unterlassenen Zwischenerwerbs beim Annahmeverzug vor allem nach einer unwirksamen Kündigung des Arbeitgebers ist in § 11 Ziff. 2 KSchG bzw. § 615 S. 2 BGB geregelt. Der Annahmeverzugslohn ist ein Damoklesschwert, das über jedem Kündigungsschutzverfahren hängt. Lange Zeit konnte der Arbeitgeber sich auf das böswillige Unterlassen nicht erfolgreich berufen. Zu hoch waren die Hürden. 

Seit 2020 hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) seine Rechtsprechung aber neu justiert. Die Anrechnung erlangt dadurch mehr Praxisrelevanz. Ob sie für den Arbeitgeber einen Grund zum Jubeln darstellt, ist aber noch nicht absehbar. Zu viele Fälle sind ungeklärt. 

Begonnen hat der Wandel der Rechtsprechung mit dem Urteil des BAG vom 27.05.2020 (5 AZR 387/19). Das Gericht hat in dieser Entscheidung erstmalig dem Arbeitgeber einen Auskunftsanspruch gegen den Arbeitnehmer über die Vermittlungsvorschläge der Agentur für Arbeit gegeben, wenn Indizien vorliegen, dass der böswillig unterlassene anderweitige Erwerb wahrscheinlich ist.

Auch in den Jahren 2021 bis 2023 sind einige Entscheidungen zu dem Thema ergangen. Es handelt sich um die Klärung diverser Einzelfragen.

In rascher Folge ging es Anfang 2024 weiter: Am 24.01.2024 – 5 AZR 331/22 – hat das BAG über den Annahmeverzugslohn einer Fremdgeschäftsführerin während der Freistellung entschieden. Während der Zeit der Freistellung war die Klägerin als einzelvertretungsberechtigte Geschäftsführerin ohne Entgeltansprüche, sondern lediglich mit einer Gewinnbeteiligungszusage, in einer neuen Gesellschaft tätig. Das BAG gab dem Dienstherrn Recht: Wenn sich ein Arbeitnehmer im Laufe des Kündigungsschutzprozesses im Rahmen eines neuen Arbeits- oder Dienstverhältnisses verpflichtet und vorsätzlich mit einem zu geringen Gehalt zufriedengibt oder unentgeltlich eine Leistung erbringt, die regelmäßig nur gegen eine Vergütung erbracht wird, liegt böswilliges Unterlassen vor und ein fiktiver Verdienst muss angerechnet werden. 

Nur zwei Wochen später folgte die nächste Entscheidung zum Thema: Am 07.02.2024 (5 AZR 177/23) entschied das Gericht, dass eine Verletzung sozialrechtlicher Handlungspflichten durch den Arbeitnehmer im Rahmen des böswilligen Unterlassens zu berücksichtigen sei, wenn der Arbeitnehmer sich z. B. nicht rechtzeitig arbeitssuchend meldet. 

Das Bundesarbeitsgericht nimmt in dieser Entscheidung Bezug darauf, dass eine rechtzeitige und ordnungsgemäße Meldung bei der Bundesagentur für Arbeit zunächst dazu führt, dass der Arbeitnehmer alles Erforderliche getan hat. Darüber hinaus bleibt der Arbeitnehmer aber auch verpflichtet – unabhängig von der Agentur für Arbeit – eigene Bewerbungen zu verfassen, allerdings ist er nicht verpflichtet, sich „unermüdlich“ um eine zumutbare Arbeit zu kümmern. Die Darlegungs- und Beweislast des böswilligen Unterlassens bleibt weiterhin grundsätzlich beim Arbeitgeber, ist aber an den Einzelfall anzupassen. Ein solcher Einzelfall ist gegeben, wenn der Arbeitnehmer durch sein Verhalten veranlasst, dass ihm die Agentur für Arbeit tatsächlich keine Vermittlungsvorschläge unterbreitet. Bestehen also tatsächlich Anhaltspunkte dafür, dass der Arbeitnehmer an einer zumutbaren Stelle nicht interessiert ist, kann dies für eine Böswilligkeit sprechen. 

Insgesamt gibt es nach Ansicht des BAGs bestimmte Umstände, die dazu führen können, dass der Umfang der eigenen Erwerbsbemühungen steigen oder sinken kann. Entscheidend hierfür ist die Dauer des Annahmeverzugszeitraumes oder das Zuleiten von passgenauen Stellenangeboten, die der Arbeitgeber übermittelt. Der Arbeitnehmer darf einerseits nicht gänzlich untätig bleiben. Andererseits muss er sich nicht „unermüdlich“ bewerben. Der Maßstab für die Beurteilung ist insbesondere die jeweilige Arbeitsmarktlage. 

In der Entscheidung hat das BAG auch klargestellt, welche Anforderungen an die Zumutbarkeit einer anderen Beschäftigung gestellt werden. Entscheidend sind die Art der Arbeit, die Person des Arbeitgebers oder die sonstigen Arbeitsbedingungen. Eine Unzumutbarkeit folgt nicht allein aus einem im Verhältnis zum bisherigen Arbeitsverhältnis niedrigeren Verdienst. Es ist im Einzelfall zu ermitteln, ob die Verschlechterung der Arbeitsbedingung für den Arbeitnehmer hinnehmbar ist. Dabei muss der Arbeitnehmer eine erhebliche Verschlechterung der Arbeitsbedingungen grundsätzlich nicht akzeptieren. 

Zusätzlich weist das Bundesarbeitsgericht in dieser Entscheidung noch darauf hin, dass der Arbeitgeber eine amtliche Auskunft der Agentur für Arbeit einholen kann, wenn der Arbeitnehmer die Vermittlung vorsätzlich vereitelt hat. Die Agentur für Arbeit darf allgemein über grundsätzlich passende Tätigkeiten Auskunft erteilen. Wenn der Arbeitgeber es versäumt hat, dem Arbeitnehmer selbst zumutbare Stellenangebote zuzuleiten, dann kann er sich auf diese Weise helfen. 

Das Bundesarbeitsgericht hat in seiner letzten Entscheidung vom Februar 2024 diverse Einzelfragen geklärt. Die Instanzgerichte werden sich daranhalten müssen. 

Noch vor Veröffentlichung der Entscheidungsgründe des Urteils vom 07.02.2024 hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg am 03.05.2024 (9 Sa 4/24) eine Entscheidung dahin gehend getroffen, dass ein böswilliges Unterlassen von anderweitigem Verdienst dann nicht vorliegt, wenn der Arbeitnehmer mit Bewerbungen hinsichtlich der vom Arbeitgeber mitgeteilten offenen Stellen bis zu einem zeitnah anberaumten Kammertermin über die Kündigungsschutzklage zugewartet hat und die Kündigungsfrist bisher nicht abgelaufen ist. Die Arbeitgeberin hatte dem zum 30.06.2023 gekündigten Kläger am 12.05.2023 über 40 Stellenangebote zu vergleichbaren Stellen bei anerkannten Arbeitgebern übermittelt. Sie hatte den Mitarbeiter auch von einem bestehenden Wettbewerbsverbot befreit. Der Kläger bewarb sich erstmals am 28.06.2023 auf ein Jobangebot. Die Beklagte verweigerte die Lohnzahlung für Juni 2023. Der Kläger hatte insbesondere offengelegt, dass er an den bisherigen Arbeitsplatz zurückkehren wollte. Das sah das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg als  „anständig“ an. Außerdem hat das Landesarbeitsgericht dem Kläger zugestanden, dass er sich durch nicht ernst gemeinte Bewerbungen nicht auf dem Arbeitsmarkt verbrennen lassen muss. Gegen dieses Urteil hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg die Revision zugelassen. Ob das Urteil im Hinblick auf die dezidierten Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts von Anfang des Jahres Bestand haben kann, wird sich zeigen. 

Praxistipp

Die vorgenannten Entscheidungen des BAG haben vereinzelt Arbeitgeber veranlasst, wegen der (noch) günstigen Arbeitsmarktlage Kündigungen ohne ersichtlichen Grund auszusprechen, da das finanzielle Risiko gering sei, wenn man dafür sorgt, dass böswillig unterlassener Erwerb beim Annahmeverzugslohn anzunehmen ist. Diese pauschale Ansicht kann zu bösen Überraschungen führen. Zum einen ist es nicht das Ziel der Anrechnungsvorschrift, unwirksame Kündigungen folgenlos zu lassen. Zum anderen hat sich das Kräfteverhältnis im Verhältnis durch die neuen Entscheidungen zwar zugunsten der Arbeitgeber verschoben, das Bundesarbeitsgericht ist aber weiterhin erkennbar in jedem Einzelfall bemüht, schutzwürdige Interessen beider Seiten zu beachten. Die Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts sind kleinteilig, eine pauschale Lösung für jeden Fall gibt es nicht, sodass von einer besseren Vorhersehbarkeit grundsätzlich nicht ausgegangen werden kann. Die Klärung der Frage, ob Annahmeverzugslohn zu zahlen ist oder nicht, kann weiterhin erhebliche Zeit und damit Geld in Anspruch nehmen. 

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Autor dieses Artikels

Christine Ostwald

Director

Rechtsanwältin, Fachanwältin für Arbeitsrecht

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