In den vergangenen 20 Jahren war in der betrieblichen Praxis von Gutscheinanbietern die Abgrenzung von Barlohn und Sachlohn klar und einfach möglich. In den letzten zwei Jahren ist die wachsende Motivation des Gesetzgebers, auch auf Drängen der Verwaltung, zu erkennen, eine pragmatische Zuordnung zum Sachlohn und damit die Nutzung der steuer- und sozialversicherungsfreien 50 Euro-Freigrenze massiv zu erschweren.
Die rechtliche Verschärfung sowie die individualisierte negative Einwertung von Anbietern seitens der Länderfinanzverwaltungen erscheint überdies übertrieben sowie unangebracht.
Rechtlicher Hintergrund
Mit dem Steueränderungsgesetz 2022 hat der Gesetzgeber in § 8 Abs. 2 EStG eine wesentliche Neuerung aufgenommen. Danach war/ist nach dem Willen des Gesetzgebers für Gutscheine nur Sachlohn gegeben, wenn nachfolgende Merkmale der Lohnzahlung erfüllt sind.
1. Sachrelevanz Ist gegeben, ausschließlich zum Bezug von Waren und Dienstleistungen bei einem Dritten berechtigen.
2. ZAG-Relevanz Ist zu bejahen, soweit der Gutschein die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 Nr. 20 ZAG erfüllt.
Überdies definiert das Bundesfinanzministerium (BMF) mit Schreiben vom 15. März 2022 (IV C 5 2022/0274667) weitergehend die eigene unverbindliche rechtliche Auslegung des Gesetzestextes. Dabei definiert das BMF für Gutscheinportale in der Tz 24 des genannten Schreibens (über den Gesetzestext hinaus) eine dritte Voraussetzung.
3. Guthabenfreigabe nach Auswahl Zielgutschein Das BMF-Schreiben gibt in Tz. 24 vor, dass dem Arbeitnehmer das Guthaben erst nach Auswahl des anderen Gutscheins (=der finale Zielgutschein) zur Verfügung stehen darf.
Weitergehend definieren die Länderfinanzverwaltungen gemeinsam abgestimmte interne Ländererlasse. Diese sehen sodann eine individualisierte Einwertung der Modelle vor, leider oftmals negativ ohne konkrete rechtliche Begründung.
Wie lässt sich Barlohn von Sachlohn abgrenzen?
Die gesetzliche Novelle orientiert sich in der wesentlichen Abgrenzungsfrage von Barlohn zu Sachlohn an den aktuellen Vorgaben der European Banking Authority (EBA) sowie dem hierzu aufgestellten Merkblatt der BaFin zur Abgrenzung von Zahlungsinstrumenten & E-Geld. Man versucht sich also im lohnsteuerlichen Bereich an das geänderte Umfeld anzupassen.
Unglücklich dabei erscheint die Wahl der Methodik. Anders als in den EBA-Leitlinien oder dem Aufbau des ZAG bezieht sich der Gesetzestext auf die sogenannte Rückausnahmen des § 2 Abs. 1 Nr. 10 ZAG, ohne dabei überhaupt den Grundtatbestand für die Annahme von E-Geld oder Zahlungsinstrumenten zu betrachten.
Nach klassischer Rechtslehre ist im ersten Schritt festzustellen, ob nach § 1 ZAG überhaupt ein Zahlungsinstrument oder E-Geld-Tatbestand gegeben ist. Wenn nein, entfällt ebenfalls die Betrachtung der in § 2 ZAG definierten Ausnahmen. Nur im Fall des Vorliegens von E-Geld oder Zahlungsinstrumenten wird die Prüfung der Rückausnahmen des § 2 ZAG notwendig.
Wollte man also einen vernünftigen Regelungsweg gehen, müssten meines Erachtens denkgesetzlich wie folgt formuliert werden:
„Satz 2 gilt nicht bei Gutscheinen, welche nicht als Zahlungsinstrument oder E-Geld gemäß § 1 Zahlungsdiensteaufsichtsgesetz anzusehen sind oder aber die Ausnahmekriterien des § 2 Absatz 1 Nummer 10 des Zahlungsdiensteaufsichtsgesetz erfüllen.“
Die Bedingung zum Waren- oder Dienstleistungsbezug kann entfallen, da diese bereits im § 1 und 2 des ZAG selbst gefordert wird. Bezahlkarten wären hierbei entsprechend des ZAG zu betrachten.
Der Gesetzestext wurde durch die Finanzverwaltung bekannterweise erst zum 1. Juli 2022 angewandt. Hier darf offen die Frage gestellt werden, auf welcher Rechtsgrundlage die Finanzverwaltung diese offensichtlich rechtswidrige Aushebelung des bindenden Gesetzestextes gründet.
Die Rechtsmeinung des BMF im Schreiben vom 15. März 2022 darf ebenfalls intensiv in Frage gestellt werden, da es offensichtlich rechtliches Verständnis in den Modellen vermisst und die individuelle Rechtsmeinung bestimmter Amtsträger wiederspiegelt. Augenscheinlich war die Grundmotivation des BMF
a. große inländische und ausländische Marketplaces auszuschließen und b. Bezahlkartenanbietern den Vorrang vor den Gutscheinanbietern zu geben.
Es zeigt sich die Motivation “Weniger Netto vom Brutto“ oder “Erschweren statt Erleichtern“ seitens der nachfolgend dargestellten Themenpunkte.
BMF zu “Gutschein gegen Gutschein“-Modelle
Die generelle negative Beschreibung von sog. “Gutschein gegen Gutschein“-Modellen vermisst jede steuerrechtlich fundierte Begründung sowie die komplette zivilrechtliche Betrachtung. Insoweit behauptet das BMF, dass Primärgutscheine zivilrechtlich (nach BGB) weder eigenständige Waren noch Dienstleistungen seien, damit also nach Auffassung des BMF Geldleistungen darstellen. Jedoch bei positivem Vorliegen der Voraussetzung der Tz. 24 aa. bis cc., sei nach dem Willen des BMF hingegen wieder Sachlohn anzunehmen. In Folge wäre der Primärgutschein also sodann zivilrechtlich doch als Ware oder Dienstleistung zu sehen.
Vorliegend kann man sodann die Frage aufwerfen, ob verbriefte Nutzungs- oder Bezugsrechte nach Auffassung des BMF keine Waren oder Dienstleistungen sind. Bei Bahnfahrkarten oder Tankgutscheinen stellt das BMF dagegen derartige Thematiken nicht auf. Hier zeigt sich die Inkonsistenz der Aussagen. Gleiches ergibt sich auch bei den Bezahlkarten.
Weitergehend zeigt die BMF-Eigenkreation der sog. “Guthabenfreigabe“ in der Tz. 24 die gewollte Schlechterstellung der Gutscheinanbieter, da eine derartige rechtliche Anforderung weder aus § 8 Abs. 2 EStG noch aus dem ZAG oder dem BGB entnommen werden kann.
Im Vergleich dazu werden Bezahlkarten vorab immer mit Guthaben aufgeladen. Schaut man dabei auf das ZAG, definiert dieses in § 1 ZAG derartige Bezahlkarten bereits dem Grunde nach als Zahlungsinstrument.
Meinungsäußerung der Länderfinanzverwaltung
Die angenommene Motivation des BMF bestätigen die Länderfinanzverwaltungen in deren internen Meinungsäußerungen in Form einheitlicher Ländererlasse. Diese sind nur für den internen Dienstgebrauch und damit nicht der Öffentlichkeit zugänglich.
Darin definieren die Länderfinanzbehörden (Oberfinanzdirektionen/Finanzministerien) individuelle Einwertungen von bestimmten Gutscheinanbietern. Diese basieren teilweise auf unbekannten Annahmen. Nachfolgend haben wir eine Textpassage aus einer uns vorliegenden Verfügung aufgenommen.
Weitere Einzelfälle zu namhaften Anbietern von Gutscheinlösungen sowie Bezahlkarten und Weitere wurden seitens der Finanzverwaltung auf insgesamt elf Seiten zusätzlich zum BMF-Schreiben behandelt.
Was bedeutet die rechtliche Verschärfung für Sie konkret?
Aufgrund der aktuell seitens des BMF sowie der Länderfinanzverwaltungen gebildeten Rechtsmeinung gestaltet sich ein Rechtsfrieden in dieser Thematik schwierig. Dies gilt insbesondere für laufende Betriebsprüfungen inklusive 2022.
Eindeutig ist, dass die Rechtsmeinungen der Verwaltung für niemand anderen als die Verwaltung eine rechtliche Bindung entfaltet. Das bedeutet, dass aus dieser Rechtsmeinung im Falle einer Betriebsprüfung keine weitergehenden rechtlichen Konsequenzen entstehen können. Jedoch ist mit einer Nachzahlungsforderung seitens der Behörden zu rechnen.
Diese beschränkt sich jedoch auf den Zeitraum ab Erlass des jeweiligen Ländererlasses. Dieser kann allgemein auf den 15. Dezember 2022 festgelegt werden.
Wie sollten Sie sich bei einer Nachzahlungsforderung verhalten?
Sollten Sie sich mit einer Nachforderung oder aber mit einer abgelehnten/zurückgenommenen Anrufungsauskunft konfrontiert sehen, empfiehlt es sich gegen die jeweiligen Rechtsmeinungen oder bereits daraus resultierenden Verwaltungsakten mit den gegebenen Rechtsmitteln vorzugehen. Die wesentliche Argumentation sollte dabei der Gesetzestext sein. Dies ist der für Sie maßgebende und verbindliche Weg zur Beurteilung Ihrer Sachverhalte.
Anzunehmen ist überdies, dass zukünftig sodann auch auf anhängige Finanzgerichtsverfahren verwiesen werden kann.